Unsere Hinterkaifeck Facebook-Gruppe

Monat: Mai 2021

  • Wie es wirklich war – Teil 3

    Andreas Gruber ging in die Küche, um seinen Muckefuck zu trinken. Bohnenkaffee gab es nur am Sonntag. Er stärke sich noch mit einem Kanten Brot. Eigentlich hatte er heute vor, zwei Äcker zu eggen, damit er dort noch den Hafer säen konnte, aber da nun eine Schneedecke lag, war das noch nicht der richtige Zeitpunkt. Er ging also hinaus, um Holz zu holen. Bei den tiefen Temperaturen werden sie noch ein bisschen mehr brauchen als wenn es wärmer gewesen wäre, dachte er sich. Sein Nachbar, Lorenz Schlittenbauer, pflügte derweil mit seinen Pferden den Acker, auf dem er später Kartoffeln legen wollte. „Griaß di“ schrie Schlittenbauer rüber. Gruber erwiderte den Gruß. Beide Männer standen ca. 50 Meter voneinander entfernt. Schlittenbauer rief rüber, dass auf dem schneebedeckten Platz Fußspuren zu sehen seien. Gruber wusste es – die Spuren würden Ärger machen. Er versuchte möglichst unirritiert zu wirken. Ja, antwortete Gruber, das wüsste er, es hätte heute Nacht einen Einbruchversuch in der Motorenhütte und in seiner Futterkammer gegeben. Die Zeiten wären derzeit so schlecht, die Leute wären so verzweifelt, dass sie sogar das Heu schon stehlen würden, antwortete Schlittenbauer. „Aber“, so Schlittenbauer weiter, „pass auf, die Spuren gehen nicht mehr von deinem Hof weg. Die Halunken sind da noch irgendwo.“ Schlittenbauer bot an, dem Gruber mit seiner Pistole zu Hilfe zu kommen, sie könnten miteinander den Stadel und den Heuboden durchsuchen. „Nein, nein“, wehrte Gruber innerlich erschrocken ab, „das schaffe ich schon alleine. Denen werde ich es schon zeigen.“ „Wie du meinst“ erwiderte Schlittenbauer und pflügte weiter. Gruber hackte weiter Holz, da ging auch schon der Bauer Stegmair vorbei, blieb stehen und grüßte. Gruber machte auch ihn auf die Spuren aufmerksam und dass er davon ausging, dass das ein paar Spitzbuben wären. Nach einem kurzen Plaudern setzte Stegmair seinen Weg fort und Gruber ging mit dem Brennholz in den Stall und von dort in die Küche. Die Tür von der Küche direkt nach draußen war, seit dort die Wasserleitung gelegt war, nicht mehr passierbar. Er schlichtete das Holz neben dem Ofen auf. Seine Frau saß am Tisch und schälte Kartoffeln und der kleine Josef spielte am Fußboden unter dem Tisch mit Bauklötzen. Gruber begab sich wieder in den Stall, in dem Viktoria ihre Arbeit verrichtete und sagte ihr, sie solle mitkommen. Sie hob erstaunt den Blick, folgte ihm aber nach draußen. Dort zeigte er ihr die Fußspuren und auch die von ihm selber getürkten Einbruchsspuren. Justament zu dem Zeitpunkt kam auch noch der Postbote und brachte die Zeitung. Gruber wollte Viktoria jetzt noch nicht einweihen, das würde er erst heute Abend erledigen. Aber er musste mögliche Gerüchte vor ihrem Entstehen entkräften, deswegen beschloss er, noch heute nach Schrobenhausen in die Eisenwarenhandlung zu gehen und auch dort von dem Einbruch zu berichten. Zu seiner Tochter sagte er, dass er in die Stadt ginge und sie könne ja mitkommen, denn sie brauchte neue Zündholze. Sie willigte ein. Beide gingen wieder in den Stall zurück und da war es zu hören – deutliche Schritte auf dem Heuboden. Viktoria erschrak und sagte zum Vater: „Da sind ja Gestalten oben!“ Gruber beruhigte sie, er würde am Abend nach dem Heimkommen von Schrobenhausen nachsehen und dem Spuk ein Ende bereiten. Aber jetzt sollten sie sich beeilen, damit sie noch im Hellen wieder heimkämen.

    Am Abend war es dann soweit. Nach dem Essen – es gab Brennsuppe, schließlich war Fastenzeit –

    brachte Viktoria die Kinder ins Bett. Er, Andreas Gruber, blieb noch, entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten, am Tisch sitzen und wartete auf ihre Rückkehr aus dem Schlafzimmer. „Komm mit“, befahl er ihr, als sie auf dem Weg zum Stall nochmal durch die Küche kam. Seine Frau, schon am Spülstein mit dem Abwasch beschäftigt, horchte auf und drehte sich zu den beiden um. Er schlurfte zur Haustür, Viktoria hinterher, und öffnete die Türe. Seine Frau drehte sich ohne erkennbare Reaktion wieder dem Spülstein zu und widmete sich geschäftig dem schmutzigen Geschirr. Andreas Gruber ging zur Remise, dicht gefolgt von seiner Tochter. Viktoria sagte: „Aber wir wollten doch den Heuboden durchsuchen.“ Bei der Remise angekommen, drehte sich Gruber sich zur Viktoria um und begann mit seiner Ansprache, wie er das folgende im Geist nannte: „Auf dem Heuboden haben ich zwei Leute einquartiert. Die sind gefährlich und werden von der Polizei gesucht. Frag nicht, warum. Darüber darf ich nichts sagen. Aber niemand, ich wiederhole, niemand, wirklich niemand darf davon erfahren, sonst werden wir alle erschlagen. Hast du das verstanden?“ sprach er leise aber eindringlich zu Viktoria.  Viktoria aber, mit einem aufbrausendem Temperament gesegnet, kam ganz nah auf ihren Vater zu und grollte ihn leise, aber gefährlich an: „Wie stellst du dir das vor? Die Kinder werden das merken. Soll ich sie im Keller einsperren, so wie du früher? Du kannst doch kein gefährliches Pack unter unserem Dach beherbergen. Morgen früh wirfst du sie raus!“ Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und stapfte entschlossen Richtung Haustür. Andreas Gruber sprang wie ein wildes Tier in ihren Rücken und hielt sie grob am Arm fest. „Du machst, was ich dir sage.“ herrschte er sie an. Sie aber konnte ihre Tränen der Wut und Ohnmacht nicht mehr zurückhalten und giftete nur: „Lieber gehe ich ja noch ins Wasser“, riss sich von ihm los und rannte davon.

    Andreas Gruber ging zurück ins Haus in die Küche. Die Haustür ließ er unverschlossen, Viktoria musste ja noch zurückkommen. Er setzte sich an den Küchentisch und seine Frau, die jetzt mit dem Abwasch fertig war, setzte sich zu ihm. Beide schwiegen gedankenverloren. So saßen sie eine ganze Weile, als die kleine Cilli in die Küche kam und sich verwundert erkundigte, wo denn die Mutter bliebe. Die alte Frau Gruber nahm die Enkeltochter an der Hand, beruhigte sie, die Mutter wäre noch spazieren gegangen und käme gleich wieder und führte die kleine Cilli wieder ins Schlafzimmer. Dort krabbelte Cilli ins Bett und ließ sich von der Oma zudecken. Auf dem Weg zur Tür senkte Cäzilia Gruber kurz den Zeigefinger in den neben der Tür hängenden Weihwasserkessel, drehte sich zur Cilli um und machte ihr mit dem Zeigefinger das Kreuzzeichen auf die Stirn. Dazu flüsterte sie: „Gott schütze dich.“. Sie kehrte wieder zur Tür zurück und schloss diese leise hinter sich. Dann ging sie wieder zurück in die Küche. Dort angekommen sagte sie ruhig und entschlossen zu ihrem Mann, dass sie jetzt rausginge und Viktoria suchen würde. Andreas Gruber stand vom Tisch auf, nahm eine Laterne und sagte zu seiner Frau, dass er mitkäme.

    Cilli lag hellwach im Bett und konnte vor Sorge nicht schlafen. Die Deckenbalken knarzten mehr als sonst, als ob jemand im Heuboden wäre, dachte sie. Nur sie und Josef waren noch im Haus, das war sehr beunruhigend.

  • Hinterkaifeck, bekam Xaver Gabriel einen Brief?

    Das Geheimnis von Kaifeck gelüftet?

    Berliner Allgemeine
    Polizeipräsidium Berlin

    Im Januar 1935 schrieb die Berliner Allgemeine Zeitung über den Mordfall Hinterkaifeck. Die reißerische Überschrift lautet: Das Geheimnis von Kaifeck gelüftet? Der Korrespondent schreibt folgendes: „… Zuletzt richtete sich der Verdacht gegen den Mann der Frau Gabriel, der seit 1917 in Russland vermisst wurde. Seine Frau hatte dem im Feld stehenden Mann die Treue nicht gehalten und ihm nicht einmal auf seine Briefe geantwortet. Ihr jüngstes, ebenfalls ermordetes Kind, konnte nicht von ihm sein, und man nahm daher an, dass er nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft unerwartet zurückgekehrt sei und sich auf diese fürchterliche Weise für die Treulosigkeit seiner Frau gerächt habe, um sich nach der Tat heimlich wieder zu entfernen“. Ich habe in meinem schriftlichen Bericht an den Donaukurier auch erwähnt, Karl Gabriel habe nur zweimal nach Hause geschrieben. Woher ich dieses weiß, kann ich heute nicht mehr sagen. Wenn Gabriel 1914 schon in Frankreich gefallen ist, kann er später in Russland nicht mehr geschrieben haben. Ich habe weiter erwähnt, ein Bekannter des Gabriels habe diesem die häuslichen Verhältnisse in Hinterkaifeck nach Russland geschrieben. In dieser Sache kann ich nur angeben, dass der Landwirt Katzlmeier, mit dem Hausnamen zum Steierl in Wangen, etwa 55 Jahre alt, kurz nach dem letzten Kriege zu mir einmal gesagt hat, ein Hohenwarter habe den Karl Gabriel die Verhältnisse von daheim nach Russland geschrieben. Ich wollte damals schon von Katzlmeier den Namen des besagten Hohenwarters wissen. Er hat ihn mir aber nicht gesagt. Da nun aber Gabriel doch nachweislich 1914 gefallen ist, kann man ihm natürlich nichts nach Russland geschrieben haben. Ich habe nur das gehörte in dem Bericht für den Donaukurier verwertet.

    Anmerkung: Zur Aussage vom ehemaligen Waidhofner Gemeinde-Schreiber Dersch. Es dürfte sich um Josef Katzlmeier aus Wangen handeln, er war wie Xaver Gabriel an den Kämpfen am Stochod beteiligt. Xaver Gabriel wird seit dem 21. Juni 1916 vermisst, oder geriet er in russische Kriegsgefangenschaft. Außer Xaver Gabriel ist noch Bartholomäus Grosshauser seit dem 21.06.1916 vermisst. Nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches und der Februarrevolution könnte er sich für eine demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern und ab August 1917 für eine Diktatur des Proletariats auf Basis von Arbeiterräten, in Russland Sowjets genannt, begeistert haben. Ob er in der Nachkriegszeit noch einmal Bayern besucht hat und einen Abstecher nach Hinterkaifeck unternommen hat, werden wir nie herausfinden.

    Auszug Kriegsstammrolle Katzlmeier

    Josef Katzlmeir war auch Mitglied der Einwohnerwehr Wangen.

    Katzlmeir

    Quelle; Aussage Xaver Dersch vom 11.12.1951

    Was nach der Oktoberrevolution im November 1917 alles möglich war, sollte die unteren Geschichten durchlesen.

    WBA; 1922

    Kriegsheimkehrer aus Sibirien

    München. Am Sonntag sind in München wieder 49 Personen, darunter 37 Kriegsgefangene, aus Russland eingetroffen. Die meisten Heimkehrer kamen aus Sibirien. Die aus Sibirien Kommenden haben in der Mehrzahl es nicht gerade schlecht getroffen. Nach der Revolution, so erzählten sie, waren sie auf sich selbst angewiesen. Wer arbeiten wollte und konnte, wer es verstand, zu handeln, der konnte Geld verdienen. Namentlich an dem an die Mandschurei stoßendem Gebiet entwickelten sich lebhafte Geschäfte mit den Chinesen, die Waren und Arbeitserzeugnisse mit ihrem Geld bezahlten. Einer der Heimkehrer, der in Tsingtau mitgekämpft hatte, war in japanischer Gefangenschaft: Er lobte das entgegenkommende Verhalten der Japaner. Ein anderer erzählte, dass er gelegentlich eines 14 tägigen Aufenthalts in Singapur die Wahrnehmung machte, dass die Inder sehr deutsch-freundlich waren. Kaufleute äußerten ihre lebhafte Freude, als sie deutsche sahen; wenn aber ein Engländer in den Laden kam, verstummte das Gespräch oder es wurde auf nichtige Dinge gebracht. Über die jetzigen Verhältnisse waren die Heimkehrer wenig unterrichtet. Sie meinten Deutschland und Russland stünden noch im Krieg und äußerten, dass Russland, Deutschland und Indien zusammenstehen müssten. Die Bolschewisten haben, so berichten die Heimkehrer, ihre Herrschaft auf Sibirien ausgedehnt. Wo sie kommen, wird es knapper. In den Städten haben sie Organisationen, die unter dem Befehl von Moskau stehen; auf dem Lande vermögen sie dagegen weniger Fuß zu fassen.

    (WBA 1922)

    42 Jahre in Sibirien gefangen

    Österreichischer Kriegsgefangener des Weltkrieges 1914/18 kehrte heim. Graz. Der 62 jährige Franz Napokoj kehrte nach 42 Jahren Gefangenschaft in Russland in sein Kärntner Heimatdorf Fürnitz zurück. Napokoj war 1915 während des ersten Weltkrieges, nachdem er bei Krakau verwundet worden war, in russische Gefangenschaft geraten. Er verbrachte den größten Teil seiner Gefangenschaft in verschiedenen sibirischen Lagern. Seine erste russische Frau und drei Kinder aus erster Ehe starben in Nowosibirsk. Der Kärntner Holzfäller heiratete zum zweiten Male eine Wolgadeutsche, die er mit seinen beiden Töchtern nach Österreich mitnahm. Napokoj erzählte, dass in Sibirien noch immer Kriegsgefangene aus dem ersten Weltkrieg leben. In Karaganda habe er zwei Österreicher aus dem Sudetengebiet getroffen, die bisher vergeblich um ihre Entlassung kämpften, da sie weder österreichische, deutsche oder slowakische Staatsbürger sind. Die Erlebnisse des Kärntners klingen wie ein Roman. Flucht aus dem Gefangenenlager, neuerliche Festnahme, Ausbruch der Revolution 1917, Schützengrabenbau für die rote Armee. Gründung einer Existenz in Nowosibirsk.

    Der Kärntner buk in Sibirien auf österreichische Art Brot und hatte in wenigen Jahren eine kleine Brotfabrik errichtet. Der Betrieb wurde 1925 enteignet.

    Kurz darauf wurde er als „kapitalistischer Ausbeuter“ zu fünf Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Wieder flüchtete er und begann in Irkutsk unter falschem Namen ein neues Leben, nachdem seine erste Frau und deren Kinder in Nowosibirsk gestorben waren. Vergeblich versuchte er um Erlaubnis, nach Österreich zurückzukehren. Als der zweite Weltkrieg ausbrach, wurde er in einem Lager in der Nähe Karagandas interniert und in diesem Lager lernte er seine zweite Frau, eine Wolgadeutsche, kennen. 1947 wurde er aus dem Lager entlassen und heiratete. Sein neuerliches Ausreisegesuch wurde mit dem Bemerken abgelehnt, dass er ja durch seinen langen Aufenthalt in der Sowjetunion schon Russe geworden sei. Nach Abschluss des Staatsvertrages schrieb er an die österreichische Botschaft, die schließlich seine Heimkehr erwirkte.

    31.12.56