Postkarten von schrecklichen Mordtaten zu verschicken, scheint uns heute Pietät- und geschmacklos. Andere Zeiten, andere Sitten, 1905 war das durchaus noch üblich – es gab ja auch wenig Abwechslung durch Film, Funk und Fernsehen, in denen Straftaten realitätsgetreu abgebildet auf Wunsch täglich ins heimische Wohnzimmer geliefert werden.
Hier die Postkarte, die einen Mord in der Nähe von Augburg thematisiert. Wer mehr darüber wissen möchte, liest gerne den Zeitungsartikel im Monatsmagazin Ausee.
Vielen Dank an die Besitzerin dieser Postkarte, die mir die Veröffentlichung hier gestattet hat.
Zunächst einmal möchte ich allen Leserinnen und Lesern frohe Festtage wünschen
Und dann möchte ich heute mit euch zusammen über Wahrscheinlichkeiten sinnieren.
Vor Jahrhunderten hat sich bestimmt niemand die Frage gestellt, wie wahrscheinlich es ist, dass die Geburt eines ledigen Kindes in ärmlichsten Verhältnissen den Lauf der Geschichte so beeinflussen könnte, wie es die Geburt Jesu tat.
Und auf der Annahme falscher Wahrscheinlichkeiten beruht auch einer der größten Justizskandale der neueren bayerischen Geschichte, der Todesfall Rudi Rupp. Wer darüber mehr erfahren möchte, ist bei dieser Doku gut aufgehoben.
Im Jahr 2009 gab es im Bauernhofmuseum Jexhof eine Sonderausstellung zum Thema Hinterkaifeck. Einige Eindrücke daraus wurden bereits auf Instagram und in der Facebook-Gruppe veröffentlicht.
Es ist aber schwierig, die vielen einzelnen Aufnahmen der Original-Akten dort adäquat darzustellen, daher werden hier Stück für Stück einige Exponate näher vorgestellt.
Die Ausstellung bestand im Wesentlichen aus verschiedenen in Heu gebetteten Exponaten und vielen, vielen auf pergamentähnliches Material gedruckte Auszüge aus den Originalakten und handschriftlichen Erklärungen, die teils an den Wänden, teils auf litfassförmig aufgeschlichteten Heurundballen in der Mitte der Ausstellungsraums angebracht waren. Dieses fast durchsichtige Material mit den unruhigen Heuhalmen im Hintergrund machten die Sache schwer zu fotografieren, zumal wir von der Digitalfotografie von vor 14 Jahren sprechen. Aber hier nun das erste der Exponate, die wir hier veröffentlichen werden.
Nebenbezeichnete Gerichtskommission des Amtsgerichts Schrobenhausen begab sich auf Mitteilung der Gend.Station Hohenwart in das obige Anwesen, wo sich am 4.April nachts Gend.Posten von Hohenwart und Schrobenhausen sowie Bürgermeister Greger von Wangen einfanden.
Zum Termine am 5.April 1922 hat sich auch Herr II.Staatsanwalt Hensold aus Neuburg a.d. Donau eingefunden.
Das Ergebnis des Augenscheines war folgendes:
Die Gerichtskommission fand am 4.April nachts gegen 10 Uhr das Haus noch verschlossen vor. Man konnte in das Haus nur durch die westliche Türe des Maschinenhäuschens gelangen. Diese Türe ist auf der Planskizze grün bezeichnet. Bei der Ankunft der Kommission war diese Türe von innen nicht verschlossen, sie wurde nur durch ein außen schräg angespreiztes Holzstück zugehalten. Da wo dieses Holzstück den Boden berührte, zeigte der Boden eine Vertiefung, woraus man fast schließen möchte, daß diese Türe regelmäßig oder doch meistens auf diese Weise geschlossen wor-den war. Durch das Maschinenhäuschen gelangte die Kommission durch ein Türchen, das auf der Planskizze gelb bezeichnet ist, in den Stadel. Unmittelbar hinter diesem Türchen lagen vier Leichen und zwar da, wo eine Türe aus dem Stadel in den Stall führt. Diese Türe ist auf der Planskizze rot bezeichnet. Unmittelbar unter der Schwelle dieser Türe lag die Leiche der Cäzilie Gruber und etwas quer zu dieser Leiche die Viktoria Gabriel. Diese beiden Leichen befanden sich noch in ihrer natürlichen Lage, man konnte sofort erkennen, daß sie noch so dalagen, wie sie zusammengesunken waren, östlich von diesen beiden Leichen, unmittelbar daneben, und zwar mit dem Kopf gegen die Stallwand lag die Leiche des Andreas Gruber und die der 9 jährigen Cäzilie Gabriel. Diese beiden Leichen lagen auf dem Rücken und zwar in vollständig gerader ausgestreckter Lage, so daß man sofort erkennen konnte, daß sie erst später in diese Lage gebracht worden waren. Der Bürgermeister Georg Greger, der die Gerichtskommission durch das Haus führte, teilte dann auch auf Befragen mit, daß Schlittenbauer von Gröbern, der mit zwei anderen Personen zuerst das Haus betreten hatte, die Leiche des alten Gruber und der Cäzilie Gabriel an den Platz gebracht habe, wo die Gerichtskommission sie vorfand. Ursprünglich sei die Leiche des alten Gruber quer üb. den Leichen der Cäzilie Gruber und der Viktoria Gabriel gelegen und zwar auf dem Bauch mit dem Kopf nach Westen und zwischen diesen drei übereinander liegenden Leichen und der westlichen Stadelwand, sei die Leiche der 9 jährigen Cäz. Gabriel gelegen. Diese sämtlichen Leichen wiesen Spuren auf, die darauf hinzeigten, daß sie durch Schläge auf den Kopf umgebracht worden waren. Die Leiche der 9 jähr. Cäzilie Gabriel zeigte unten am Kinn eine querverlaufende breitklaffende Wunde.
Bei der Ankunft der Gerichtskommission waren die Leichen noch zum Teil mit Heu bedeckt. Nach einer Mitteilung des Bürgermeisters Greger waren die Leichen, als sie von Schlittenbauer aufgefunden wurden, etwa ½ m hoch mit Heu zugedeckt und oben darüber war noch eine alte Türe gelegt. Von der Stelle aus, wo die Leichen lagen, gelangt man durch die bereits erwähnte rot bezeichnete Türe über zwei Stufen in den Stall. Für das Gericht hatte es den Anschein, als seien die 4 Personen, deren Leichen im Stadel gefunden worden waren, an eben der Stelle, wo sie gefunden worden sind, niedergeschlagen worden. Die Täter sind wahrscheinlich auf demselben Wege durch das Maschinenhäuschen in den Stadel gelangt, wie die Gerichtskommission. Auf irgend eine Weise ist es ihnen gelungen, eine Person nach der andern durch den Stall bis zu der Türe, die in den Stadel führt, zu locken und dort niederzuschlagen. Selbst wenn die Person, die gerade im Stadel niedergeschlagen wurde, schrie, so konnte das in der Mägdekammer u.im Schlaf- u.Wohnzimmer nicht gehört werden. Es wurden mehrere Hörproben vorgenommen, der Richter begab sich in die Mägdekammer u. in das Wohnzimmer u. ließ durch zwei Personen an der Stelle im Stadel, wo die Leichen gefunden worden waren, ein mächt. Geschrei aufführen. Die Uhr des Richters und der Personen war vorher genau auf die Minute gleich eingestellt u. genau zur verabredeten Zeit wurde geschrien. Von den Schreien war weder in der Mägdekammer noch im Wohnzimmer irgend etwas zu hören.
Die Türe, die vom Stall in den Stadel führt, ist so schmal, daß nur immer eine Person durch sie in den Stadel treten konnte. Ganz ausgeschlossen war es, daß, falls etwa alle 4 Personen gleichzeitig in den Stadel gekommen waren und eins hinter dem andern durch die Tür in den Stadel trat, daß das innen im Stalle zunächst stehende dem der vorne an der Türe gerade niedergeschlagen wurde, hätte Hilfe bringen können. Denn dazu ist der Gang im Stall und die Tür die zum Stadel führt, zu schmal. Durch den Futtergang im Stall sind die Täter wahrscheinlich weiter in das Haus eingedrungen, gelangten durch den Vorplatz in den Kellervorraum, in die Küche u. von da in die Mägdekammer, wo die Leiche der Maria Baumgartner auf der linken Seite etwas auf den Bauch zugewendet u. mit dem Kopfe beinahe unter der Bettstelle, in einer großen Blutlache auf dem Boden lag. Ihr war ebenfalls durch kreuzweis geführte Hiebe der Schädel eingeschlagen. Die Leiche der Baumgartner war noch vollständig angekleidet. Ihr noch gar nicht ausgepackter Rucksack lag auf einer Bank unter dem südlichen Fenster.
Auf einem Kochherd, der an der Ostwand der Mägdekammer steht, lag ein Papiersäckchen, das etwa ein halbes Pfund Bleischrot enthält. Das Säckchen ist ein Lohnbeutel, der die Aufschrift trägt: „Scheppach Rupert, Gewerk D 2 Nr.54 Lohn für den 2. mit 8.2.1920“.
Aus der Mägdekammer sind die Täter wahrscheinlich wieder in die Küche zurück, von hier in den Hausgang u.vom Hausgang in das Schlafzimmer eingedrungen. Im Schlafzimmer lag in einem Kinderwagen die Leiche des zweijährigen Josef Gruber. Diesem war durch einen wuchtigen Schlag die ganze rechte Schläfenseite eingeschlagen. Der Schlag hatte zuerst das aufgespannte Dach des Kinderwagens getroffen, dieses durchtrennt u.dann dem Kinde den Schädel zerschmettert. Der Schlag war mit solch sinnloser Wucht geführt, daß Blut u.Gehirnteile über die Kopfseite am Wagen u. am Bett klebten. Durchwühlt war eigentlich in der Wohnung nichts, mit Ausnahme vom Schlafzimmer, wo der oder die Täter einige Zeit herumgesucht haben müssen. Denn in dem einen auf der Planskizze blau eingezeichneten Bette lagen vom Oberbett verdeckt mehrere Schlußnoten u. sonst. beschriebene Papiere, ein Notizbuch, eine geleerte Brieftasche u. eine Damenuhr. Ob den Tätern Geld u.Wertsachen in die Hände gefallen sind, lässt sich z.Zt. noch nicht feststellen. Es scheint aber, daß ihm das in der Brieftasche vorhandene Papiergeld in die Hände gefallen ist.
Die Gerichtskommission hat Gold u.Silbergeld, einen 5 M-Schein u.Scheidemünzen sowie versch.Pfandbriefe, Kostbarkeiten u.Sparbücher vorgefunden. Diese sämtlichen Werte wurden bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Schrobenhausen hinterlegt.
Hinsichtlich ihrer näheren Bezeichnung wird auf das in Abschrift beiliegende Ersuchen an die Hinterlegungsstelle verwiesen.
In dem Maschinenhäuschen und zwar in seiner nördlichen Hälfte, befindet sich ein kleiner Dachboden, der etwa über Schulterhöhe über dem Fußboden ist u. der durch eine kleine angelehnte Leiter erreicht werden kann. Auf diesem Boden liegt verstreut ein Haufen Stroh u.in diesem Stroh fanden sich Eindrücke, wie wenn dort eine oder mehrere Personen längere Zeit gelegen wären. Neben der Räucherkammer, die sich auf dem Dachboden oberhalb der Küche befindet, hingen etwa 10 – 12 Stücke Rauchfleisch. Von einem dieser Stücke war die Hälfte weggeschnitten.
Wenn die 4 Personen, deren Leichen im Stadel gefunden worden sind, innerhalb des Hauses an einer anderen Stelle niedergeschlagen u.erst dann in den Stadel geschleppt worden wären, so hätten sich Blutspuren finden müssen, die von der Stelle, wo die Personen niedergeschlagen worden wären, zu der Stelle wo die Leichen lagen, geführt hätten. Solche Spuren ließen sich aber im ganzen Hause nirgends entdecken. Sie hätten aber unbedingt da sein müssen, da sämtliche Leichen im Gesicht u. auch an anderen Körperstellen stark mit Blut besudelt waren.
Auch der Hund, ein gelber Spitz, der nach jedem Fremden, der ihn zu berühren sucht, schnappt, – der Richter hat sich hiervon selbst überzeugt – muß einen Schlag auf den Kopf bekommen haben, denn sein rechtes Auge ist getrübt u.etwas verschwollen, auch zeigt der Hund, wenn ein Fremder auf ihn losgeht, eine große Angst, zieht den Schwanz ein, krümmt sich zusammen und fängt heftig an zu zittern, berühren läßt er sich, wie gesagt nicht, sondern er beißt. Dieser Hund wurde jeden Abend in den Stall gesperrt u.er war auch noch im Stall drinnen, als Schlittenbauer mit noch zwei anderen Einwohnern von Gröbern als erster nach der Tat das Anwesen betrat.
Die Tat ist wahrscheinlich in der Zeit vom 31.März auf den 1.April 1922, also Freitag auf Samstag begangen worden, und zwar vermutlich in später Abendzeit am 31.März kurz bevor die Einwohner es Hofes zur Ruhe gehen wollten, denn die 9 jährige Cäz. Gabriel war nur noch mit einem Hemd bekleidet, sie war also wahrscheinlich schon zu Bett gegangen gewesen. Der alte Andreas Gruber war nur noch mit einer Unterhose und einem Hemd bekleidet. Die Leiche der alten Gruber war noch vollständig bekleidet, an dem einen Fuße trug sie noch einen Pantoffel. Die Viktoria Gabriel war ebenfalls vollständig angekleidet, trug aber an den Füßen nur Strümpfe und die Leiche der Maria Baumgartner lag so vor dem Bette, daß man annehmen kann, sie sei in dem Augenblick von hinten niedergeschlagen worden, als sie gerade im Begriffe war, das Bett aufzudecken. Die Baumgartner war noch vollständig bekleidet, auch mit Schnürschuhen. Am Abreißkalender befand sich noch der Zettel für den 1.April. An einem der Fenster der Wohnung steckte noch die Post, die der Postbote dorthin am 1.April gesteckt hatte. Durch den Gend.Ob.Wachtm. Blank ist ermittelt worden, daß die 9 jährige Cäz.Gabriel am Samstag Vorm. nicht mehr in die Schule gekommen ist. Aus all diesen Tatsachen muß geschloßen werden, daß die Tat zu der vorhin angegebenen Zeit geschehen ist. Hinzu kommt noch, daß feststeht, daß die Maria Baumgartner am 31.März 22 nachm. 5 Uhr in das Gruberanwesen gekommen ist, um dort ihren Dienst anzutreten. Die Gerichtskommission hat die Haustüren u. die Fenster verschlossen vorgefunden, die Täter müssen also nach der der Tat das Anwesen auf dem selben Weg, auf dem sie eingedrungen waren, nämlich durch den Stadel u. das Maschinenhäuschen wieder verlassen haben. Deswegen haben sie wohl auch die 4 im Stadel liegenden Leichen mit Heu u.einer Tür zugedeckt, damit sie auf ihrem Rückweg ungehindert über die Leichen wegschreiten konnten, vielleicht auch, damit sie bei ihrem Rückzug ihre blutbefleckten kreuzweise übereinander liegenden Opfer nicht noch einmal ansehen mußten.
Als die Kommission am 4.4. nachts den Stall betrat, war das Vieh noch sehr unruhig u.brüllte durcheinander. Bei der nochmaligen Besichtigung am 5.IV. ergab sich, daß auf dem Dache an 2 verschied. Stellen einmal auf dem Scheunendach u. das anderemal auf dem Hausdach je ein Dachziegel zurück gezogen worden war, so daß man von da aus den Hof übersehen konnte, bes. leicht war dies von der Stelle des Scheunendaches aus möglich. Diese Dachziegeln waren erst vor ganz kurzer Zeit zurück gezogen worden, das konnte man an der Färbung des weiter unten lieg. Ziegels deutlich erkennen. Soweit nämlich der zurückgezogene Ziegel den weiter unten liegenden Ziegel bedeckt gehabt hatte, war der weiter unten liegende Ziegel noch vollständig neu, schön hellrot u.nicht verwittert, während im übrigen die Ziegel die Farbe aufwiesen, wie sie eben ein Jahre hindurch dem Wetter u.dem Rauch ausgesetztes Ziegeldach zeigt.
Am 4.IV. nachts fand die Gerichtskommission am Südende des Futterbarrens im Stall eine schwere Kreuzhacke mit einem etwa meterlangen Stiel; diese Hacke war in den Futterbarren selbst hineingelehnt, so daß sie vom Vieh beleckt werden konnte, u.auch tatsächlich beleckt worden ist, wie der Richter selbst gesehen hat. Es machte den Eindruck, als ob an dem Eisenteil dieser Hacke noch einige Blutspuren zu sehen wären, ebenso zeigten sich an dem Teil des Stieles, da wo er aus den Eisenteilen herausführt, einige rotbraune Flecken, wie von angetrocknetem Blut. Die Kreuzhacke wurde da vorgefunden, wo in der Planskizze ein blaues Kreuz im Futterbarren eingezeichnet ist.
Auf der Planskizze ist im Stadel, nahe beim nördlichen Scheunentor ein rotes Kreuz eingezeichnet. Dort hing vom Dachboden herunter bis auf den Fußboden ein etwa fingerdickes Seil, das oben so fest angeknüpft war, daß sich eine erwachsene männliche Person an ihm herunter lassen konnte. Der Hof ist ringsherum mit einem Drahtgitter eingezäunt, er ist aber trotzdem von außen her frei zugänglich, weil an der Stelle, wo der Backofen steht, in dem Drahtgitter (eine) einige Meter breite Lücke ist.
Im Übrigen wird auf die beiliegenden Planskizzen verwiesen.
Der Hof, wo die Tat begangen worden ist, gehört zur Ortschaft Gröbern, Gemeinde Wangen u.wird im Volksmund Einödhof Hinterkaifeck genannt. Er liegt von der Ortschaft Gröbern, dieser gegenüber etwas erhöht, etwa 500 m entfernt, u.zwar an einem nach Schrobenhausen führenden Weg. Der Hof wird von drei Seiten her von Wald umschlossen u.zwar so, daß sich der Wald im Durchschnitt etwa 4 bis 600 m vom Hofe entfernt hält. Der Hof steht für sich ganz allein.
Die Gerichtskommission: gez. Wiessner. gez. Schäfer.
Josef Gabriel, geboren am 22.03.1891 und gestorben am 11.02.1969 war der Schwager der ermordeten Viktoria Gabriel von Hinterkaifeck. Er war auch der Käufer des Hofes Hinterkaifeck. Trotz seines Engagements für den elterlichen Hof verließ er Laag und verdingte sich in Rettenbach, das zu 83539 Pfaffing gehört, als Gastwirt und Metzger. Dort ist er auch begraben, zusammen mit seiner Frau und mutmaßlich seinen Kindern.
Grabstein Familie Gabriel in RettenbachKirche von RettenbachZum Neuwirt in RettenbachJosef Gabriel
Auch sein Sohn Josef Gabriel jun. hat weiter die Wirtschaft betrieben:
In der Ausgabe 4 – 2. Februarheft des Jahrgangs 1953 der Illustrierten Weltbild wurde über Hinterkaifeck mit einem weiteren Artikel berichtet.
WeltbildSie nennen mich Mörder
Sie nennen mich Mörder ohne den Schatten eines Beweises!
Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. „Da oben!“ Lüstern, neugierig schaut sie uns an. „Ich hab es in der Zeitung gelesen“, sagt sie, „der Frau soll es sein, sagen die Leute . . .“ Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump! Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen Kleinstadt einen Mörder. „Eine Bestie in Menschengestalt“, hat ihn eine Zeitung genannt. Sechs Menschen sind damals, am 31. März 1922, erschlagen worden. Hinterkaifeck, das war ein Einöds-
Beschriftungen bei den Abbildungen
„Dort geht der Mörder!” raunen die Leute auf der Straße und drehen sich nach ihm um. Fünf Jahre war er im Außendienst des Wohnungsamtes tätig. Jeder zweite kennt ihn daher in der kleinen Stadt.
Die grauenvolle Bluttat auf dem bayerischen Einödhof Hinterkaifeck — sechs Menschen erschlagen, eine ganze Familie ausgerottet — ist seit dreißig Jahren ungesühnt und rätselhaft geblieben. WELTBILD —Reporter suchten im vorigen Jahr (Weltbild Nr. 7/1952) einen Priester auf, dem eine Frau auf dem Totenbett anvertraut hatte, dass ihre beiden Brüder die Mörder gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft griff ein und verhaftete den überlebenden Bruder. Und jetzt melden Rundfunk und Presse: Endlich der Mörder gefunden, aber wegen Verjährung der Tat in Freiheit gesetzt! Unsere Reporter G. Gronefeld und H. Ulrich haben mit jenem Mann gesprochen, der wegen des furchtbaren Verbrechens über Nacht zum Geächteten wurde.
Wie ein Blitzschlag trifft dieses Ehepaar die Rundfunkmeldung, man habe den Mörder von Hinterkaifeck. „Auf Silvester, beim Halmaspielen, hören wir es. Wir atmen beide auf. Gott sei Dank! ruf ‚ ich aus. Da merke ich entsetzt: Ich selber bin ja gemeint!
„Ich bin unschuldig!“ beteuert Anton Gump, der 65 jährige Rentner, der wochenlang in Untersuchungshaft schwersten Verhören unterzogen wurde. „Ich habe mein ganzes Leben ehrlich gearbeitet. Wenn meine Schwester wirklich mich und meinen toten Bruder Adolf mit ihrer Bezichtigung gemeint haben sollte, so kann ich nur sagen: Mit meinem Bruder war sie verfeindet, und ich habe sie seit meinem 13. Lebensjahr ganze zweimal gesehen. Wie konnte sie zu einer solch furchtbarer Anschuldigung kommen.
Weltbild
Hof, fünfhundert Meter vom nächsten Dorf weg, zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Bauer Gruber hauste darin mit seiner Familie, seltsame, abweisende, etwas verrufene Leute. Die zwei Kinder auf dem Hof waren in Blutschande gezeugt. Aber Geld hatten die Leute, viel Geld, in Papier, Silber und Gold. Und davon fehlte nichts, gar nichts, als man den Mord entdeckte. Die Leichen des alten Bauern und seiner Frau, der Tochter Viktoria und der siebenjährigen Cäcilie lagen in der Scheune neben der Stalltür. Alle mit einer Hacke erschlagen. Dem kleinen Josef, dreijährig, war durch das Dach des Kinderwagens der Schädel zertrümmert worden, die Magd lag tot in ihrer Kammer. Es fehlte kein Geld, es fehlten nur geräuchertes Fleisch und Eier. Aus einer Brieftasche wurde etwas genommen, sonst war nichts durchwühlt. Und wie merkwürdig: das Vieh wurde die drei Tage nach der Mordtat immer gefüttert. Aus zwei Liegeplätzen im Heu schloss man auf zwei Mörder. Zahlreiche Verdächtige wurden verhaftet, aber weil das Verbrechen erst an vierten Tage entdeckt wurde und frischer Schneefall Spuren verwischte, versagten selbst die Hunde der Polizei. Hass und Rache tobten sich alsbald in der Gegend aus. Eine Tochter zeigte ihren Vater an, er sei der Mörder von Hinterkaifeck, und der alte Mann saß drei Monate, bis sich seine Unschuld herausstellte. Der Staatsanwalt hat uns vor Gump gewarnt: „Das ist ein versierter Mensch. Der kennt sich aus. Der wird Sie in Grund und Boden reden!“ Das kann man sich vorstellen bei einem Mann, der sechs Menschen erschlug und diese Tat dreißig Jahre in seinem Innern verbarg. Wir klopfen. Wir öffnen die Tür und stehen in einer kleinen sauberen Küche. Eine alte Frau steht vor uns. Böse sieht sie uns an. Kampfbereit wischt sie die Hände an ihrer Schürze ab und deutet nach hinten: „Da sitzt mein Mann.“ Vom Sofa erhebt sich ein kleiner alter rotbäckiger Mann mit einer großen Nase und grauen Haaren, die wie bei einer Bürste nach oben stehen. Er trägt einen Schnurrbart, der heftig zu zittern beginnt, sobald er erregt ist. Unbeholfen, hilflos steht er da, erschrocken, aufgeregt, übernächtigt. Die Röte auf seinem Gesicht weicht dann und wann einer wächsernen Blässe. Wir zeigen ihm die „Warnung“, die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: „Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen.“ Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll „versiert“ sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht. Dieser Mann hier lebt unter einem furchtbaren Druck, dem er nicht ausweichen kann. Schon die Geschichte der Warnung, die er uns jetzt erzählt, bezeugt seine Hilflosigkeit. Da erscheint in der Zeitung seiner Stadt ein Artikel, in dem Gump, zunächst noch ohne Namen, des Mordes bezichtigt wird. Drei Tage später bestellt ihn dieselbe Zeitung auf ihre Redaktion, durch einen Brief, in dem steht:“… dass in den nächsten Tagen mit Wahrscheinlichkeit Ihr Name in Zusammenhang mit der Affäre Hinterkaifeck durch die Presse gehen wird … wir wollen Ihnen Vorschläge machen, um dies zu vermeiden.“ Gump geht geängstigt hin. Man fordert von ihm, er solle eine Warnung in die Zeitung setzen, um sich gegen böse Zungen zu wehren. Er weigert sich. Da lässt man ihn selbst ein Telefongespräch führen, aus dem er glaubt entnehmen zu müssen, auch in Pfaffenhofen werde sein Name in Verbindung mit Hinterkaifeck genannt. Darauf gibt er, ganz verstört, seine Einwilligung zu der Warnung, die als kostenloses Inserat am nächsten Tage erscheint. Form und Inhalt der Warnung setzt ihm die Redaktion auf. Der Rechtsanwalt, zu dem er nachher geht, weil man ihm in der Redaktion auch noch, ohne ihn zu fragen, fotografiert hat, fragt entsetzt: „Wie konnten Sie so was zulassen? Wissen Sie nicht, was das in den Augen der Leser bedeutet? Sie haben sich selbst gleichsam des Mordes bezichtigt.“ Die Frau tritt neben ihren Mann. Ihr Gesicht ist vom Weinen gerötet! „Mein Toni ist kein Mörder!“ Sie klammert sich an ihn. Er greift sich mit der Hand an die Brust. Hilflos und schmerzlich ist sein Blick auf uns gerichtet. „Ich bin unschuldig“, sagt er in einem Ton der so wahr und echt klingt, dass es uns erschüttert.“ Ich
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„Zwölf Jahre lang, schon 1922, habe ich in der Fabrik neben Gump Anton gesessen“, sagt Herr Leykam, ein Arbeitskollege. „Da lernt man einen Menschen kennen. Er war immer vergnügt. Hab‘ nie was bemerkt. Für den leg ich meine Hand ins Feuer!“
„Die größten Räusche haben wir miteinander gehabt“, erzählt der Bauer Thoma in Schönbichl vom verstorbenen Adolf Gump, der viele Jahre bei ihm gewohnt hat. „Nie was Verdächtiges gehört. Im Rausch hätte er bestimmt nicht den Mund gehalten.“
„Hören sie mir auf mit dem Totenbettgeständnis!“ Gumps Schwager Herr Liebl, war vor dem Krieg in Amerika und las dort Briefe der Verstorbenen an einen Onkel. „Sie strotzten nur so von Verleumdungen. Wie kann man diese Person ernst nehmen!“
Sechs Särge – sechs Opfer in der Scheune des inzwischen abgerissenen Hinterkaifecker Hofes: Andreas Gruber, 64, Cäcilie Gruber, 73, Josef Gabriel, 3, Viktoria Gabriel, 35, Maria Baumgartner, 45, Cäcilie Gabriel, 7 Jahre alt. In dem Kinderwagen – dem stummen Zeugen des Grauens – fand man den erschlagenen Jüngsten. Rechts: der Hof.
Weltbild
habe überhaupt nichts mit der ganzen Sache zu tun.“ „Wir sind jetzt dreiunddreißig Jahre verheiratet“, sagt Frau Gump. „Damals ist er in die ‚Deutschen Werke eingetreten und hat fünfundzwanzig Jahre dort gearbeitet. Immer im Akkord. Er kam abends müde nach Hause und hat sich gleich hingelegt. Der hatte keine Zeit, um Leute umzubringen. Und damals sind wir jung verheiratet gewesen. Ich war krank. Ich bin sehr viel krank gewesen. Ich kann mir keinen besseren Mann als Toni vorstellen. So geduldig hat er mich gepflegt. Glaube Sie, eine Frau hätte das nicht in dreiunddreißig ihrer Ehe herausbekommen, ob ihr Mann ein Mörder ist oder nicht?“
Im Kreuzverhör
„Ich war im vergangenen Mai drei Wochen in Untersuchungshaft“, sagt Gump. Der Untersuchungsrichter hat mir gesagt, ich solle ruhig gestehen, es wäre ja schon verjährt … Aber ich konnte ja nicht gestehen, wenn ich nichts wusste!“ Dann setzt er leise hinzu: „Ich habe ihm gesagt: ‚So etwas kann nicht verjähren. So ein scheußlicher Mord muss aufgeklärt werden. Der darf nicht verjähren.‘ Aber das hat er auch wieder sehr verdächtig gefunden.“ „Wenn es nicht endlich herauskommt, wer wirklich der Mörder war, dann bleibt es ja doch auf dem Toni“, schluchzt seine Frau, Am Silvesterabend haben die beiden aus dem Radio gehört, dass die Jagd auf ihn noch einmal anging. Dann kamen die vielen Artikel in den Zeitungen. „Ich habe die Nächte nicht mehr schlafen können“, weint Frau Gump. Und er wirft ein: „Ich habe den Gashahn aufdrehen wollen, aber dann hätten doch alle gesagt: ‚Aha, da sieht man’s. Er ist es also gewesen.’“ Ja, da sind die Leute, die sie persönlich kennen, die lachen darüber, dass der Toni ein Mörder sein soll. Aber da sind die vielen andern, die zwar wissen, wie ‚Gump aussieht – er war zuletzt fünf Jahre Prüfer beim Wohnungsamt und lief einmal von Wohnung zu Wohnung -, aber die ihn nicht näher kennen. Die sind es, die tuscheln und mit dem Finger auf den alten Mann zeigen und die es glauben, wenn in einer Frankfurter Zeitung steht: „Der Untersuchungsrichter richtet keine Fragen mehr an den überführten Mörder. Angesichts des vor ihm kauernden Verbrechers läuft es sogar dem erfahrenen Kriminalisten eiskalt den Rücken hinunter. „An dieser Schilderung ist kein wahres Wort. Was hat diesen Mann in diesen furchtbaren Verdacht gebracht? Die Aussage seiner Schwester, einer Frau, die auf dem Totenbett gestanden haben soll, ihre beiden Brüder seien die Mörder von Hinterkaifeck. Eine Frau, die auf dem Totenbett liegt, spricht die ‚Wahrheit, scheint ein unumstößlicher Satz zu sein. Aber die Kriminalgeschichte kennt mehr als einen Fall, in dem Sterbende bewusst gelogen haben, um einen satanischen Hass auch nach ihrem Tode noch walten zu lassen. Was ist diese Creszentia Meier, die ihre Brüder des Mordes bezichtigt hat, für eine Frau gewesen? „Ich hab‘ sie 1919 zum ersten mal gesehen, bevor wir geheiratet haben“, erzählt die Ehefrau. „Der Toni hat mich als seine Braut vorgestellt, und sie hat wütend zu ihm gesagt: ‚Ich kenne dich nicht.’“ Am anderen Tag sind wir mit dem alten Mann unterwegs. Wir sind etwas vorsichtig. Immerhin glaubt die Staatsanwaltschaft doch anscheinend immer noch, dass er ein Mörder ist. Vielleicht ist doch etwas dran? Wir setzen Gump vorne neben den Fahrersitz. Der Sicherheit halber… Bei dem Bauern Thoma in Schönbichl sind wir zuerst. Dort hat der andere Bruder gewohnt, Adolf Gump, von dem es heißt, dass er von erbitterten Kriegsgefangenen, die er brutal gequält haben soll, erschlagen wurde. Aber hier ist nur was von einem Fahrradunfall bekannt. Man stellt ihm das beste Zeugnis aus. Er sei ein großer „Militarist“ gewesen, aber sonst eine „Seele von Mensch“. Die Witwe legt uns später den Totenschein ihres Mannes vor. Es wird darauf bestätigt, dass Gump eines natürlichen Todes gestorben ist. Dieses Dokument befindet sich anscheinend nicht in den Akten des Staatsanwalts. Der alte Thoma erzählt uns, wie die Creszentia Meier 1938 ihren sterbenden Vater dazu gebracht hat, vor seinem Tode zu ihr zu ziehen. „Einmal ist sie hier gewesen. Im Gasthaus hat sie gewohnt. Es war ihr nicht fein genug hier bei uns. Dem alten Gump hat sie gesagt, sie würde ihn Pflegen wie ihren Augapfel. Er hat nicht recht gewollt. Dann hat sie heimlich Briefe an ihren Vater geschrieben. Ich weiß nicht, was sie geschrieben hat. Was Gutes wird es nicht gewesen sein. Denn der Vater ist wirklich misstrauisch geworden auf uns. Und auf den Adolf. Eines Tages hat er seine Sachen zusammengepackt und ist nach Augsburg gefahren. Ich weiß dann nicht mehr viel. Bloß dass die Centa den Vater für hundert Mark an die Anatomie in München verkaufen wollte. Meine Tochter, die ihn nach Augsburg gebracht hat, die hat sie verdächtigt, ihn bestohlen zu haben.“ Wir erreiche Augsburg. Gump sitzt jetzt hinten. Langsam haben sich Gestalt und Wesen der Frau herausgeschält, die eine so entsetzliche Anklage gegen ihre Brüder erhob. Bei der Schwester Tina liefern wir unseren „Mörder“ ab. Es dauert nicht lange, und wir haben die ganze Familie um uns versammelt, zwei Schwestern, einen Schwager, eine Kusine. „Soll ich es sagen?“ ruft Schwester Rosa aus, und Schwester Tina sagt: „Wir müssen es sagen. Wir müssen dem Toni jetzt helfen. Wir können keine Rücksicht auf die Familie nehmen.“
Hundert Teufel im Leib?
Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, dass es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, dass Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, dass er nicht reinlich genug war, dass sie ihm die Blumen aus der Hand riss und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen: „Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert.“ Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: „Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater.“ Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit dem Vater desselben Adolf Meier, den sie geheiratete hat. Die Meiers haben neben dem Hause der Gumps gewohnt. „Unsere Mutter ist eine gute Mutter
Weltbild
gewesen“, weint Schwester Tina. Wir hören von Prügeleinen, die diese Centa angezettelt hat, um derentwillen sie stadtbekannt war, wir hören davon, wie Meiers von Wohnung zu Wohnung ziehen mussten, weil Centa überall die Menschen verleumdete, wir hören, dass Centa Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einem Sturz aus dem Heuboden eine schwere Kopfverletzung davontrug und auf eigene Verantwortung ungeheilt entlassen wurde. Zuletzt besuchen wir noch jenes Café in Augsburg, wo Centa Meier einmal Hausmeisterin war. Die Besitzerin erinnert sich bald. „Herrgott, das war doch die, die so unglaublich schmutzig war. Gestohlen hat sie, Und sonst war es auch nicht richtig bei ihr. Ja, die haben wir sehr schnell wieder entlassen … Ja, die … wenn es die ist, die Sie meinen, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass bei ihrer angeborenen teuflisch Art alles Lug und Trug war, was sie gebeichtet hat.“ Wir erinnern uns, was ihr Beichtvater, Kaplan Hauber, einigen Jugendlichen über Frau Meier erzählt hat: „Diese Frau hat nur erklärt, dass ihre Brüder in Augsburg leben.“ Aber weder Adolf noch Anton Gump haben jemals in Augsburg gewohnt… Anton Gump ist zur Zeit der Tat Fabrikarbeiter gewesen. Adolf Gump, der ältere, war Korbmacher. Er zog mit einem Schubkarren voller Körbe, Bettzeug und ähnlichem Hausrat mit seinem Vater zusammen auf dem Lande umher, von Dorf zu Dorf, wegen seiner Armut und seines Berufes bei den begüterten Bauern nicht eben angesehen. Bettelarm war Adolf, arm war sein Bruder. Aber der Hof in Hinterkaifeck war voller Geld. Gold und Silber fand man in einem Schrank, denn die Mörder nicht einmal aufgemacht hatten, obwohl sie noch drei Tage nach der Tat im Hause gewesen sein müssen. Nicht einmal das Papiergeld, das der alte Bauer in einer Tasche unter seinem Kopfkissen verbarg, haben die Mörder genommen. Welches Unmaß von Hass muss die Mörder getrieben haben, wenn in der damaligen Zeit der beginnenden Inflation sogar Gold und Silber für sie gleichgültig waren. Und man fragt sich: Hätten so arme Leute wie die Gumps, drei Tage mit diesen Schätzen eingesperrt, der Verlockung widerstanden? Wir haben weiter gesucht. Wir dachten an Eifersucht. Aber war es denkbar, dass einer aus Eifersucht eine ganze Familie ausrottet und dass ihm dabei der unbeteiligte Bruder hilft? Wir haben geforscht und haben einen Zeugen gefunden, der die Grubers gut gekannt hat. Was dieser Mann aussagt, deutet auf Rache, aber weit weg von den Brüdern Gump. Der Staatsanwalt ist eine Spur zu Ende gegangen. Er muss umkehren und weitere Spuren verfolgen, vielleicht lassen sie sich noch einmal auffrischen, vielleicht ergeben sich zwischen ihnen Zusammenhänge. Der Name Hinterkaifeck bleibt auch nach dreißig Jahren in rätselhaftes Dunkel gehüllt. ENDE
In der Ausgabe 7 – 1. Aprilheft des Jahrgangs 1952 der Illustrierten Weltbild wurde über Hinterkaifeck mit einem dreiseitigem Artikel berichtet.
WeltbildIch weiß wer die Mörder sind
„Ich weiß wer der Mörder ist…
…aber sage es nicht!“ Seit Jahren kennt ein Geistlicher das Geheimnis einer furchtbaren, bisher ungesühnten Mordtat. Aus seinen Andeutungen geht hervor, daß die Täter noch leben. WELTBILD-Reporter Heinz Ulrich und Gerhard Gronefeld forschten daraufhin in monatelanger Arbeit den Spuren des Verbrechens nach. Es ist als wären die Geister der Toten wieder lebendig geworden. Ein Stein ist ins Rollen gekommen.
„In einer kleinen schwäbischen Landstadt sitzt ein Priester, der weiß es“, schreibt am 10. Oktober 1951 der neunzehnjährige Schriftsetzer Lehrling Rudolf Stolz an die Radaktion der „Schwäbischen Landeszeitung“ in Augsburg. „Der Priester weiß, wer die Mörder sind“, schreibt er, „aber er will es nicht sagen.“ „Sonst wir man denken: die Kirche hat Diener, die nicht zu schweigen verstehen“, hatte der Geistliche zu diesem jungen Mann gesagt, als sie einmal im Kreise der Pfarrjugend über das Beichtgeheimnis sprachen. In diesem Gespräch hatte der Priester erwähnt, dass er die Täter eines seit dreißig Jahren ungesühnten ungeheuerlichen Verbrechens kennt – die sechsfachen viehischen Mörder, die „Schlächter von Hinterkaifeck“. Dreißig Jahre liegt diese Mordtat nun zurück. Sie wäre im April dieses Jahres verjährt, wenn nicht immer wieder, zuletzt im November 1951, neue Verdachtsmomente aufgetaucht wären. Sie erwiesen sich stets als falsch oder unzureichend, aber die vergilbten Akten fanden keine Ruhe in ihren Regalen. Und die Verjährungsfrist von dreißig Jahren beginnt mit jeder neuen richterlichen Untersuchung wieder von vorne zu zählen. Und nun ist da ein Mann, der die wirklichen Mörder kennt. Aber er sagt nichts. Doch immerhin hat er den Burschen und Mädchen der Pfarrjugend so viel erzählt, dass mit einem Male eine Spur da ist, eine ganz neue Spur mit verwehten, aber doch noch erkennbaren Fährten.
Auf dem Totenbett
„Es sind Leute, die bisher noch niemand verdächtigt hat!, sagte der Priester. „In keinem Protokoll sind sie aufgetaucht, in den ganzen langen dreißig Jahren. Sie konnten sich sicher fühlen.“ Und er hat weiter erzählt, daß ihn während des Krieges, er als Kaplan in einer Großstadt war, eine fünfzigjährige Frau ihn rufen ließ. Sie lag auf dem Totenbett und wollte ihr Gewissen erleichtern. Sie hat ihm die Namen der Mörder genannt. Sie hat gesagt, er solle es der Polizei mitteilen. Diese Geständnis erfolgte außerhalb der Beichte. Der Priester könne es also sagen. Aber nach dem Gesetz ist er dazu nicht verpflichtet. Die Zeitungsnotiz kommt natürlich in die Hände des Staatsanwalts. Der junge Mann wird vernommen. Auch in der WELTBILD-Redaktion wird der Fall besprochen. Der Standpunkt des Pfarrers wirft ein Problem auf, das für die Allgemeinheit von größtem Interesse ist. Man muss mit diesem Geistlichen sprechen…
*
Es ist im Februar, Schneestürme wehen über die Schwäbische Alb. Nach schwerer Fahrt stehen wir abends endlich vor dem Kaplan A. (Der Name wird hier auf Wunsch der Staatsanwaltschaft verschwiegen.) In der Küche eines Gasthofs seiner Gemeinde haben wir ihn getroffen. Er ist ein fester, aufrechter Mann, der Kaplan, vierzig Jahre alt, ein Landpriester, der aus diesem Ort stammt und die schwäbische Mundart seiner Heimat spricht. Bevor wir ihm sagen, weswegen wir kommen, weiß er schon, was wir wollen. „Ich habe mir gedacht, daß bald einer kommen würde …aber ich sage nichts“, setzt er sofort hinzu. „Aber es stimmt doch alles!“ „Was ich gesagt habe stimmt.“ „Sie kennen die Mörder?“ „Ja“, sagt er, ohne zu schwanken. „Wann ist das gewesen, das mit der Frau?“ „Das ist lange her“, sagt er und kneift die Augen zusammen. „Gegen Mitte des Krieges mag es gewesen sein – vielleicht zweiundvierzig.“
Unterschriften unter den Abbildungen:
Bleibt ihr Tod ungerächt? Das sind die Namen der Opfer von Hinterkafieck. Vor dreißig Jahren stand diese Danksagung in der Zeitung. Die zwei Mörder leben noch heute unerkannt. Nur ein Mann kennt ihre Namen…
Das ist der Mann, der es weiß… Der Kaplan A. aus einem schwäbischen Landstädtchen, hier auf dem Weg zur Kirche fotografiert, bestätigte es den WELTBILD-Reportern: Eine Sterbende trug ihm auf, ihre Brüder als die sechsfachen Mörder von Hinterkaifeck anzuzeigen. „Aber ich sage es nicht!“ Dabei blieb der Geistliche bisher. Von der Schweigepflicht des Seelsorgers ist er entbunden, aber nach dem Gesetz kann er trotzdem das Zeugnis verweigern. Fotos: Gerhard Grossfeld
Ich weiß wer die Mörder sind ..
„Die Frau hat also gesagt, dass ihre zwei Brüder die Mörder sind?“ „Sie hat schwer gerungen mit diesem Geständnis“, sagt der Kaplan. „Drei Stunden lang habe ich bei ihr gesessen. Sie hat mich gebeten, es der Polizei mitzuteilen. Aber ich konnte mich nicht entschließen.“ „Wo sie doch selbst darum gebeten hat?“ „Ein Priester soll schweigen“, sagt der Geistliche. „Das ist mein Standpunkt. Verstehen sie das nicht?“
Und wenn der Staatsanwalt…
„Aber wenn sie der Staatsanwalt fragt? sind sie dann nicht verpflichtet, es ihm zu sagen?“ „Nein“, sagt er, „ich brauche es niemanden zu sagen. Es kann mir auch niemand befehlen es auszusagen. Auch meine geistlichen Oberen nicht … Nein, ich schweige“, sagt er und wischt sich den Schweiß von der Stirne. Es ist immer heiß in der Küche, in der wir noch immer stehen. Man hat uns allein gelassen. Der Kaplan tritt unruhig hin und her. Er ringt mit seinem Gewissen. Sechs Menschen hat man damals umgebracht, und noch immer gehen die Geister der Toten herum in der Welt und wollen gerächt sein. Da sitzt eine Familie in der Gegend von Hinterkaifeck, die wird von den anderen gemieden, weil man noch heute glaubt, einer der ihren sei der Mörder gewesen. Noch heute ist die Familie der Gabriels verfemt. Man deutet mit Fingern auf sie, und man erzählt dem Fremden: Die waren’s…“ Seit dreißig Jahren wuchtet auf ihnen der schwere Verdacht. Er wird nie verstummen, bevor man die wirklichen Mörder findet… „Das weiß ich“, sagt der Kaplan, „aber ich kann es nicht sagen. Sie müssen mich doch verstehen!“ Aber wir verstehen ihn nicht. „Es ist so lange her“, sagt er und ringt seine Hände. „Man soll es doch ruhen lassen.“ „Aber es ruht ja nicht“, sagen wir. „Es lastet ja doch schwer auf den Menschen in dieser Gegend. Es ist wie ein Fluch…“ „Ich will mit der Sache nichts zu tun haben“, sagt er. Zwei Stunden haben wir diskutiert und sind keinen Schritt weiter gekommen. Wir brechen ab und drücken ihm die Hand. „Ich bin Ihnen nicht böse“, sagt der Geistliche. „Sie haben ehrlich gesagt, was Sie wollen , und ich habe gesagt, was ich denke. Es geht nicht.“ Zittert seine derbe Bauernhand nicht? Uns scheint es so. Es hat ihn erschüttert. Ist er in seiner Meinung schwankend geworden?
„Mein ist die Rache!“
Drei Tage später sind wir in Hinterkaifeck. Ein großes, schweigendes weißes Feld. Düstere fleckige Wolken schieben sich über den Wald, der dasteht wie einer, der reden will und doch zum Schweigen verdammt ist. Kein Weg führt durch den hohen Schnee. Tief sinken wir ein. Nicht einmal Spuren von Füchsen oder Hasen durchbrechen das weiße Tuch. Dann sind wir an dem Gedenkstein. Dieser Stein – das ist alles, was von dem Einödhof Hinterkaifeck übriggeblieben ist. Niemand hat dort mehr wohnen mögen. Ein Jahr nach der Tat hat man ihn abgerissen. Man versteht das, wenn man die Stelle sieht, und es beklemmt einem das Herz, wenn man nach der verwaschenen Inschrift sucht. „Gottloser Mörderhand fiel am 31. März 1922 die Familie Gabriel-Gruber von hier zum Opfer. Andreas Gruber, geb. 1858, Cäcilie Gruber, geb. 1849, Viktoria Gabriel, geb. Gruber, geb. 1887, deren Kinder Cäcilie, geb. 1915, Josef, geb. 1919; Dienstmagd Jungfrau Maria Baumgartner, geb. 1877. Der Herr gedenket als Bluträcher ihrer, vergißt nicht das Geschrei der Armen. Psalm 9, 13.“ Über den Hügeln hinweg sieht man die Dächer des Ortes Gröbern, aber obwohl sie höchstens 300 Meter entfernt sind, herrscht hier eine unendliche Stille. Es fröstelt uns, und wir beginnen laut zu sprechen, um das Schweigen zu übertönen. Aber das Schweigen ist stärker, es umklammert uns und treibt uns hinweg. Kann sich ein Mensch an dieser Stelle des Schauders erwehren? Wir gehen. Erst langsam, dann immer schneller. Die Beine ziehen uns vorwärts. Nur fort. Wir achten nicht auf den tiefen Schnee.
Das war doch kein Raubmord!
Auf dem ersten Hof in Gröbern treffen wir den Ortsführer Hans Schlittenbauer, einen Mann von kleiner geduckter Statur mit rötlichen Haaren. Er werkelt gerad an einem Schuppen. „Von der Zeitung?“ lacht er und dreht ein großes Messer in seinen Händen. „Ihr gebt keine Ruhe mit Hinterkaifeck?“ „Nein“, sagen wir. Nachher sitzen wir bei ihm in der Küche. Ein seltsamer Raum, kahl an den Wänden, aber alles steht voller Gerümpel. Ein Mädchen näht auf einer modernen Nähmaschine. Das ist alles, was darauf deutet, daß hier wohlhabende Bauern wohnen. Der Bauer ist da, seine Frau, das große Mädchen, dann die Kinder. Ein Junge liegt auf dem Sofa und stöhnt, er ist krank. Ein anderer Junge sitzt auf dem Herd. Zwei kleine Kinder stehen umher. „Wir glauben nicht, daß der Mord aus Rache geschah“, sagen wir, „es ist wohl sicher ein Raubmord gewesen.“ „Raubmord?“ beginnt der Bauer zu lachen. Das Lachen hüpft richtig in seiner Kehle, und es springt von ihm auf die anderen über, selbst der Kranke lacht, dumpf und hohlbrüstig. Sie können sich gar nicht beruhigen. Gerade daß sie nicht an ihre Stirnen deuten und uns zu verstehen geben, für wie naiv sie uns halten. „Das war doch kein Raubmord. Das war Rache“, stößt die Frau endlich hervor. Sie sind direkt heiter geworden. Sie machen sich über uns lustig. Warum? Wir wissen es nicht. Nachher erzählt uns der Bauer, er sei damals dabei gewesen, als man die Toten fand. „Ich war damals sechszehn Jahre alt“, sagt er. „Am Dienstag kam der Postbote zu uns herauf und meinte: ‚In Hinterkaifeck, da stimmt was nicht. Die haben noch nicht mal die Zeitung vom Samstag aus dem Kasten genommen.‘ Mein Vater hat mich raufgeschickt auf den Hof. Ich solle mal durchs Fenster sehen. Das hab‘ ich getan, aber nichts sehen können. Und dann hat der Vater zwei Nachbarn geholt, den Jakob Siegl und den alten Pölt. Wir vier sind nach Hinterkaifeck gegangen. Oben hat der Siegl zu mir gesagt, ich solle lieber draußen bleiben. Man weiß nicht, was man drinnen findet. Und dann sind sie hineingegangen. Ein paar Stunden später sitzen wir dem Jakob Siegl gegenüber. Er ist als einziger von denen, die damals die Toten entdeckt haben, noch am Leben. Er ist fortgezogen von Gröbern. Aber was er damals in Hinterkaifeck sah, ist ihm so gegenwärtig wie vor dreißig Jahren. Erst wehrt er ab. „Was soll ich erzählen? Laßt mir mei Ruh!“ Man muß ihm die Worte einzeln entreißen, aber dann reißt es ihn selber fort. Er steht auf und geht hin und her. Er setzt sich aufs Sofa, dann auf die Bank, dann auf den Stuhl. Er ereifert sich. Seine Hände fahren durch die Luft. Sie deuten nach draußen.
Die Sache mit dem Schlüssel
„Die hat niemand anders erschlagen als du‘, hat der Pölt zum Schlittenbauer gesagt, und der hat ihn nicht angezeigt wegen Verleumdung. Bloß mich hat er angezeigt, weil ich das von dem Schlüssel gesagt habe…“ „Was für einen Schlüssel?“ „Am Freitag nachmittag“, sagt Siegl, „bin ich auf dem Feld beim alten Gruber von Hinterkaifeck vorbei, und wir haben geredet. Da erzählt mir der Gruber, daß er zwei Spuren im Schnee gesehen hat, die führten bis an seinen Hof, aber nicht wieder weg. Ob er denn was vermißt hab‘ ich gefragt. ‚Nichts‘, hat er gesagt, ‚bloß den Hausschlüssel, der ist verschwunden.‘ Ich hab‘ ihm helfen wollen , den Hof abzusuchen. Aber ‚Nein‘ hat er gesagt, ‚das mach ich schon selber, da brauche ich keinen‘. Ein Mordstrumm Mann ist er gewesen, der alte Gruber…“ Das war am Freitag gewesen, und am Dienstag sind sie dann zusammen nach Hinterkaifeck hinaufgegangen, der Schlittenbauer, der Pölt und der Jakob Siegl. „Der Schlittenbauer ist gleich ‚rein in den Stall“, erzählt Siegl, „denn die Stalltür stand offen. und dann hat er uns von innen mit dem Hausschlüssel aufgeschlossen. ‚Lorenz‘, hab‘ ich zu ihm gesagt, ‚woher hast du den Schlüssel?‘ ‚Der hat an der Tür innen gehangen‘, hat er geantwortet. Und weil ich das mit dem verschwundenen Schlüssel dann erzählt hab‘, habe ich vom Gericht zwanzig Mark Strafe bekommen., wegen Verleumdung. Mich hat der Schlittenbauer angezeigt. Aber den Pölt nicht, vor dem hat er Angst gehabt… Wir sind dann durch das Haus gegangen. Da haben wir in der Dienstbotenkammer die neue Magd gefunden. Tot. Am Freitag haben sie noch bei uns vorbeigeschau. Eilig hat sie es gehabt, nach Hinterkaifeck zu kommen, gerade angefangen hat sie dort am selbigen Tag. Als ob sie es nicht erwarten könne, mit erschlagen zu
Unterschriften unter den Abbildungen:
Wer machte aus diesem Hof ein Totenhaus? Sechs Menschen lebten einst auf dem einsamen Gehöft Hinterkaifeck. Am 4. April 1922 fand man sie ermordet auf. Sie waren schon vier Tage tot. Weder die kleinen Kinder noch die Mag hatten die Mörder verschont. Im Stall brüllte das hungrige Vieh. Ein Raubmord? Ein Racheakt? Das blieb unbekannt – ebenso der Name des Mörders. Eine Augsburger Zeitung brachte damals die von uns hier gezeigte Darstellung.
Er brachte den Stein wieder ins Rollen: Durch den Schriftsetzerlehrling Rudolf Storz aus München wurde WELTBILD darauf aufmerksam gemacht, daß der Kaplan A. die Namen der Mörder von Hinterkaifeck kennt.
„Ich sah durch dieses Fenster…“ Sechzehn Jahre alt war Hans Schlittenbauer, als ihm sein Vater nach Hinterkaifeck schickte, um nachzusehen, was mit den Bewohnern des Hofes los sei. Er sah nichts, aber die Totenstille war ihm unheimlich.
Ich weiß wer die Mörder sind …
werden, so schnell ist sie hingelaufen. Im Stall haben wir dann die anderen entdeckt. Der Fuß von der alten Gruberin hat aus dem Stroh ‚rausgeschaut, die haben wir zuerst gesehen. Nebeneinander haben sie gelegen, der alte Gruber, die Gruberin, die Tochter Viktoria und ihre kleine Cäcilie. Alle hatten sie schwere Wunden am Kinn und am Schädel. Im Schlafzimmer von den Alten hat es am Schlimmsten ausgesehen. Da hatten sie mit der Hacke durchs Verdeck vom Kinderwagen geschlagen. Da lag der kleine Josef von der Viktoria drin und war tot. Der hat ausgesehen!“ Die Erinnerung schüttelt den alten Mann schwer. „Weil der kleine Josef auch tot war, hat der Staatsanwalt damals gesagt: Der Schlittenbauer, der war’s nicht. Er wird doch sein eigenes Kind nicht so schrecklich erschlagen haben!“ „Sein Kind?“ fragen wir erstaunt. „Ja, der Josef. Der Karl Gabriel, was der Mann von der Viktoria war, ist doch schon 1914 gefallen in Frankreich. Und der Lorenz Schlittenbauer hat die Viktoria Gabriel heiraten wollen. Aber in Wirklichkeit ist auch der nicht der Vater vom kleinen Josef gewesen. Ja, da staunen sie, was? Der hatte bloß die Vaterschaft anerkannt, weil ihm die Gruberischen tausend Mark gezahlt haben… Der alte Gruber hat es nämlich mit seiner eigenen Tochter gehabt. Sein Kind ist der Josef gewesen… Jakob Siegl schweigt. Auch wir sind still. Und plötzlich klingt uns das Lachen in der Schlittenbauerschen Küche in den Ohren. Wie hatte der Sohn des alten Schlittenbauer gesagt? „Das war doch kein Raubmord, das war Rache…“ „Hat sich der Schlittenbauer wegen des Kindes gerächt?“ fragen wir. „Was weiß ich!“ meint Jakob Siegl. „Jetzt ist er tot, der Lorenz, ‚rausgedrängt hat er mich aus dem Dorf. Seit dem Mord hat es bloß Zank und Streit zwischen mir und dem Schlittenbauer gegeben. Warum denn? Als er damals an dem Dienstag zu mir gekommen ist, hat er gesagt: ‚Wir müssen mal nachsehen. Da droben rührt sich nix. Entweder haben die sich aufgehängt oder einander erschlagen.‘ Und oben in Hinterkaifeck ist er dann gleich in den Stall. Ausgekennt hat der sich droben im Hof wie zu Hause…“ Siegl fährt fort: „Wir haben alle gewusst, was für einen Haß er gehabt hat auf den Gruber. Als die Geschichte war mit dem Buben – die Viktoria hat’s ihm selber gesteckt gehabt -, da ist er zum Pölt gekommen und hat gesagt: ‚Jetzt zeig‘ ich den Alten an. Jetzt kommt er mir dran wegen Blutschand, ins Gefängnis muß er. Dem brock‘ ich’s ein, daß er gleich drin bleibt.‘ Und was ist mit dem Lorenz gewesen in den ganzen vier Tagen, wo die droben schon tot lagen, und es hat noch kein Mensch was gewusst? Wenn man zum Schlittenbauer hineinkam, dann hat es geheißen: ‚Der Vater ist auf’m Heuboden droben. Da passt er auf Diebe.‘ Aber wo ist er wirklich gewesen? Uns dreht sich’s im Kopf. Könnte es am Ende der alte Schlittenbauer gewesen sein? aber der Kaplan A. hat doch gesagt, es seien zwei Mörder, und keiner von ihnen sei verhaftet gewesen? „Nein“, ruft Siegl, „den Lorenz haben sie niemals verhaftet!“ Zwei Tage später erzählen wir dieses Gespräch in Augsburg dem Staatsanwalt Dr. Popp, der in der Sache Hinterkaifeck die Ermittlungen führt. „das kenne ich alles“, lächelt der Staatsanwalt. „Aber Lorenz Schlittenbauer ist verhaftet gewesen,“
Wer stirbt, lügt nicht
„Lorenz Schlittenbauer ist nicht der Mörder gewesen“, sagt Bumiller Johann, der ihm die letzte Beichte abgenommen hat. „Auf dem Totenbett hätte er sicher geredet. Über alles andere hat er gesprochen. Über die tausend Mark, über die falsche Vaterschaft. Wer im Sterben liegt, lügt nicht mehr“. Ist das wahr? Will sich jeder von der Lüge seines Lebens befreien? Aber dann hat auch die Frau, die dem Geistlichen von ihren Brüdern erzählt hat, die Wahrheit gesagt. Führt von dem, was wir über Hinterkaifeck erfuhren, vielleicht doch eine Spur zu der Aussage dieser Frau? Gibt es nicht doch ein Mittel, das Geheimnis zu lüften – werden die verstaubten Akten über die Tragödie von Hinterkaifeck noch einmal geöffnet?
Der Fall Hinterkaifeck ist durch unsere Untersuchungen in ein neues Stadium getreten. WELTBILD wird zu gegebener Zeit darüber berichten.
Unterschriften unter den Abbildungen:
Heute – nur noch ein Gedenkstein… Das ist alles, was von Hinterkaifeck blieb. Kein Laut durchbrach die lähmende Stille, als unsere Reporter während ihrer Nachforschungen diese Aufnahme machten. So wie auf diesem Bild war es auch vor dreißig Jahren: Ein düsterer Himmel, Schnee und der dunkle, schweigende Wald. Aber statt des Gedenksteins stand hier ein Bauernhof und darin… Ein Jahr nach dem Mord wurden die Gebäude abgerissen. Niemand wollte das Haus des Unheils bewohnen. „Der Herr gedenket als Bluträcherer ihrer, vergißt nicht das Geschrei der Armen“, dieser Psalmspruch steht auf dem Stein.
Auf demselben Friechof, auf dem die Ermordeten liegen, steht der Gedenkstein für Karl Gabriel, den Mann der ermordten Hoftochter von Hinterkaifeck. Er war 1914 in Frankreich gefallen. Der Volksmund will wissen, er sei gar nicht tot, er lebe und habe selber den schrecklichen Mord verübt. Im Herbst 1951 behauptete ein Heimkehrer, er habe in sowjetischer Gefangenschaft einen Kommissar getroffen, der bayerisch gesprochen und sich als der Mörder von Hinterkaifeck bekannt habe – es sei Karl Gabriel gewesen. Das Gericht nahme die Untersuchung wieder auf, aber die Spur erwies sich als falsch.
„Ich war dabei, als man die Toten fand…“ Noch heute spricht aus den Augen Jakob Siegls der Schrecken jener Stunden vor dreißig Jahren. Er weiß viel über die hintergründigen Dinge zu erzählen, die sich vor dem Mord auf Hinterkaifeck zugetragen haben. Aber wer der Mörder ist, weiß er nicht. Wird er es noch erfahren?
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