Raummangel in Oberbayern
Ein Berliner Gericht erlebt eine unfreundliche Überraschung.
„Der Prozess findet im Schlafzimmer statt“ Mit dieser Auskunft wurden am Mittwoch Zeugen und Reporter in das erste Stockwerk des Gasthofs Auwirt verwiesen, das sich die Achte Große Strafkammer aus Westberlin für die Zeit vom 19. bis zum 26 Oktober als Tagungslokal für den Tourismo – Prozess auserkoren hat. Das Landgericht Traunstein hatte sich aus Raummangel nicht in der Lage gesehen, den Berliner Gästen, die zur Einvernahmen von Zeugen aus Österreich, Italien und Bayern nach Traunstein gekommen sind, einen geeigneten Sitzungssaal zur Verfügung zu stellen.
Aber auch die Gastzimmer des Auwirts, auf welche die Moabiter Richter gehofft hatten, konnten wegen der Speisen und Getränkeabgabe nicht freigemacht werden. Die Gastwirtseheleute Pirkl entschlossen sich darum kurzerhand, ihr eigenes Schlafzimmer auszuräumen und für die Erfordernisse einer Gerichtsverhandlung notdürftig herzurichten. Als Beratungsraum musste ihr privates Wohnzimmer dienen. Diese war jedoch nicht die einzige Überraschung, welche die Berliner Strafkammer in Traunstein erlebte. Als sie die ersten Zeugen entließ und zwecks Entgegennahme der Zeugengebühren zum Kostenbeamten beim Landgericht Traunstein sandte, kehrten diese unverrichteter Dinge wieder zurück. Der Traunsteiner Beamte hatte sich für nicht zuständig erklärt.
„Die Bayern machen mit uns schon was“,
resignierte daraufhin der Berliner Landgerichtsdirektor Gerhard Schulz, rechnete selbst die Zeugengebühren aus und unterzeichnete: „Schultz, Kostenbeamter, Berlin“. Eine weitere unliebsame Überraschung bereiteten der Strafkammer die Zeugen aus Kärnten. Obwohl sich sogar das Wiener Justizministerium eingeschaltet hatte, um eine Aufhellung der Hintergründe des 1956 erfolgten Zusammenbruchs des Reisebüros Turismo aus Berlin – Charlottenburg von den deutschen Justizbehörden zu erbitten, blieben schon am ersten Tag drei Zeugen aus dem Drautal aus.
„Wir haben die Österreicher immer für hilfsbereit gehalten“,
meinte der Vorsitzende, „und nicht erwartet, dass wir nun von dort so wenig Unterstützung bekommen.“ Die ausgebliebenen Zeugen gehören dem Kreis der Geschädigten an. Im Eröffnungsbeschluss wurden 72.000 Mark geltend gemacht, um die sich Hoteliers, Pensionsbesitzer und Omnibusunternehmer betrogen fühlen.
21.10.1960