Verbrechen aus Bayern

Mord, Raub und andere Fälle

Autor: Sabine

  • Mordfall Hinterkaifeck, Des Xaverl wars – Teil 3

    Nun hat ihn also der Krieg erwachsen gemacht, den Jüngling, der mit nicht mal 21 Jahren in russische Gefangenschaft geriet.

    Xaver Gabriel von der Veteranentafel Waidhofen

    Er kam auf einen kleinen Bauernhof, der „Panje“ hatte ihn vorher sorgfältig geprüft, seine Muskeln abgetastet und ihn als nützlich für seinen Bauernhof eingeschätzt. Xaver wurde auf dem Hof mitgenommen und weil er sich gut in der Landwirtschaft auskannte, konnte er umgehend mit der Arbeit beginnen. Nach einiger Zeit wurde er behandelt wie der eigene Sohn. Er bekam freie Kost und Logis und drei Rubel monatlichen Lohn. Die Arbeit war zwar schwer und viel, es wurde mit dem ersten Morgengrauen begonnen und endete erst nach Sonnenuntergang, aber es drohten keine Gefahren durch Seuchen oder die Willkür der Aufpasser wie in den Langern.

    Auf dem Bauernhof lebten der Bauer Andrej, seine Frau Jekaterina und die erwachsene Tochter Olga sowie die Enkelin Ljudmilla. Olgas Mann war im Krieg gefallen, ebenso wie ihr älterer Bruder, sie litt schrecklich unter beiden Verlusten. Ihr Töchterlein Ljudmilla war noch ein kleines Baby, sie war erst im April 1916 auf die Welt gekommen. Xaver zerriss es das Herz, wenn er die bleiche Olga mit verweinten Augen ihren Aufgaben nachgingen sah. So eine Frau, ja so eine Familie, hätte er sich für seinen Bruder Karl gewünscht, stattdessen hat die Schwiegermutter von Karl die Nachricht von seinem Tod mit „Jetzt ist die Scheidung schon da.“ kommentiert. Herzloses Gesindel, diese Hinterkaifecker. Die Eltern von Olga litten auch darunter, ihren einzigen Sohn verloren zu haben und noch mehr schmerzte es sie, ihre Tochter so leiden zu sehen. Und zu all dem war auf dem Hof viel Arbeit und es musste noch viel von Hand gemacht werden, wofür man in Bayern schon Motoren hatte. So mühte sich Xaver von frühmorgens bis spätabends redlich, soviel Arbeit wie möglich zu schaffen. Wenn er an die Hinterkafecker dachte, bekam er eine grenzenlose Wut, er schwor sich, eines Tages seinen Bruder zu rächen. Je wütender er war, desto kraftvoller packte er zu, er wurde kräftiger und kräftiger und war bald unersetzlich auf dem Bauernhof. Gleichzeitig lernte er fast wie von selbst die russische Sprache.

  • Mordfall Hinterkaifeck, Des Xaverl wars – Teil 2

    Xaver Gabriel hatte noch die Verurteilung von Andreas Gruber und Viktoria Gabriel erlebt, die im Mai 1915 ausgesprochen wurde. Als die beiden aber ihre Strafe antreten mussten, war er bereits in Frankreich an der Front. Von dort wurde er im April 1916 an die Ostfront in die Ukraine verlegt. Viktoria Gabriel hatte zu diesem Zeitpunkt ihre einmonatige Haftstrafe bereits abgesessen, Andreas Gruber war aber noch im Zuchthaus, das würde er erst im Januar 1917 verlassen dürfen.

    Diesen schmählichen Moment, wenn Andreas Gruber wieder in Freiheit sein würde, erlebte Xaver aber nicht mehr, denn er war in der Ukraine an den Kämpfen an den Flüssen Styr und Stochod beteiligt. Bereits am 10. Juni 1916 überschreiten die Russen den Styr und stehen drei Tage später am Stochad, südöstlich des strategisch wichtigen Eisenbahnknotenpunktes Kowel. Am 18. Juni 1916 gelingt es den Russen, Czernowitz zu erobern. Auch die Orte Kolomea, Delatyn und Stanislau müssen jetzt geräumt werden. (Quelle: Janusz Piekalkiewicz, 1994, Der erste Weltkrieg, Seite 381). Trotz intensiver Anstrengung der Russen, unterstützt von Tscherkessen und Kosaken, gelingt es nicht, Kowel zu erobern. Wer möchte, kann sich die verschiedenen Orte auf Google-Maps ansehen.

    In der Nähe der genannten Kriegsschauplätze, in Mlysk, gab es auch ein Gefecht. Es kämpften dort aus Bayern das kgl. bayer. 3. Infanterie-Regiment (Prinz Karl von Bayern), das kgl. bayer. 22. Infanterie-Regiment (Fürst Wilhelm von Hohenzollern) zusammen mit dem Reserve-Infanterieregiment 13, dem Xaverl Gabriel angehörte. Bei diesem Gefecht wurden von den Russen über 600 Gefangene gemacht, auch Xaver Gabriel war darunter. Die meisten deutschen Soldaten wurden nach Sibirien gebracht, meist ohne Bewachung – wer weglief, starb auf der Flucht an den widrigen Lebensumständen. Xaver Gabriel aber musste nicht nach Sibirien und dort im Berg- oder Straßenbau arbeiten. Seine umfangreichen Kenntnisse der Landwirtschaft verhalfen ihm zunächst zu einem Lagerplatz im westlichen Gebiet Russlands und einem Einsatz in der Landwirtschaft.

    Übersichtskarte Ostfront 1916

    Das Kreuz in dem Bild zeigt in etwa die Stelle, an der Xaver Gabriel seit dem 21.06.1916 vermisst wurde.

    Weitere Links zu dem Zeitgeschehen:

  • Mordfall Hinterkaifeck, Des Xaverl wars – Teil 1

    Eine weitere Theorie zu den bisher veröffentlichten könnte folgende sein:

    Er sah er sie jeden Sonntag in der Kirche und manchmal auf dem Feld bei der Arbeit, aber erst seit er ungefähr zehn Jahre alt war, fiel ihm auf, wie schön sie war: Viktoria Gabriel, die Nachbarstochter. Sie war gute acht Jahre älter als er, bereits eine Frau als er noch auf der Schwelle zum Mannsein stand. Ihre brünetten Haare hatte sie immer sonntags akkurat nach oben gesteckt und trug darauf einen schwarzen Hut. Ihr Sonntagsgewand hatte eine gute Passform und setzte die Vorzüge ihrer Brüste perfekt in Szene. Eng geschnitten schmiegte sich das Kleid nah an den flachen Bauch, um auf Taillenhöhe in ein üppig geschnittenes Rockteil über zu gehen, dass die Form des Beckens und die Konturen der Oberschenkel und der Kniee völlig verdeckte. Unterhalb des knöchellangen Rocksaumes konnte Xaverl die schlanken Fesseln Viktorias in den Schuhen mehr erahnen denn wirklich sehen. Er konnte ihr stundenlang zusehen, wie sich beim Singen – sie war die erste Sopranistin des Kirchenchores – ihre Brust beim Atmen hob und senkte. Und er hatte viel Gelegenheit, dies zu tun, denn er ließ sich oftmals einteilen, den Blasebalg für die Orgel zu betätigen. Das war zwar im Vergleich zu den Ministrantendiensten körperlich ungleich anstrengender und man war auch nicht im Abglanz des Altars, des Pfarrers, der heiligen Hostien und der glänzenden Monstranz, aber das war ihm egal, ihm war es Lohn genug, wenn er nur Viktoria verstohlen anstarren und bewundern durfte.

    So gingen die Jahre ins Land. Xaver träumte davon, eines Tages Viktoria heiraten zu können. Der Altersunterschied dabei schien ihm nicht so wichtig, war doch Viktorias Vater auch erheblich jünger als ihre Mutter. Er hatte, obwohl er inzwischen durchaus im entsprechenden Alter war, keine Augen für andere Mädchen seines Alters. Er hatte nur Augen für Viktoria. Nachts lag er wach in seinem Bett und malte sich die schönsten Erlebnisse mit seiner Angebetenen aus.

    Dann aber zerplatzten seine Tagträume wie eine Seifenblase. Nein, eigentlich mehr wie ein mit einer Nadel angestochener Luftballon, es tat in seinem Herzen einen lauten Knall. Viktoria – seine Viktoria – sollte die Frau seines Bruders Karl werden. Es waren eh zu viele Söhne auf dem Hof der Gabriels, da war es gut, wenn einer wegheiratete und ein eigenes Sach bekam und sein Bruder war nun mal älter als er und passte deswegen auch besser zur Viktoria. Sein Verstand konnte das gut nachvollziehen, aber sein Herz war schwer dabei. Immerhin konnte er aber auf die Weise seiner Viktoria als ihr Schwager nahe sein, das war immer noch besser, als wenn sie einen wildfremden Mann geheiratet hätte.

    So zog das Frühjahr 1914 ins Land und Xaver half, so oft es ihm möglich war, mit auf dem Hof der Hinterkaifecker, der seit der Heirat zur Hälfte auch seinem Bruder gehörte. Er stellte aber schon bald fest, dass das Leben dort auf Hinterkaifeck – insbesondere das Leben seines Bruders dort – in keinster Weise dem entsprach, wie er sich das Leben des Bauern dort vorgestellt hatte. Der Vater von Viktoria, Andreas Gruber, führte, obwohl der Hof schon überschrieben war, immer noch das Regiment. Das beinhaltete, dass er über alle Vorgänge auf dem Hof eigenmächtig entschied, die Fruchtfolge festlegte, das weitere Vorgehen bezüglich des Viehs bestimmte, die technische Ausstattung ohne sich mit den jungen Bauersleuten zu besprechen erweiterte und – und das war das schlimmste in Xaverls Augen – sich weiterhin an seiner Tochter verging. Zunehmend belastete es Xaverl, was sich dort abspielte. Einerseits schämte er sich für seinen Bruder Karl, der offenbar nicht das Zeug besaß, mal ordentlich auf den Tisch zu hausen und ein für alle Mal klarzustellen, wer jetzt hier der Herr im Haus war. Andererseits tat ihm Viktoria so unendlich leid, die hin und hergerissen war zwischen dem Wunsch, ihrem Mann eine gute Ehefrau zu sein und ihrem Vater eine gehorsame Tochter. Xaverl zog sich also mehr und mehr aus dem Hof von Hinterkaifeck zurück und schob immer öfter vor, daheim in Laag unabkömmlich zu sein.

    Aber auch an Karl gingen die Vorgänge nicht spurlos vorüber. Er wollte sogar eines Tages zurück nach Laag ziehen, denn er merkte, dass er sich nicht durchsetzen konnte. Damit waren aber seine Eltern ganz und gar nicht einverstanden, man hatte nicht viel Geld investiert, damit der Junge nicht besitzlos vor den Hinterkaifeckern da stand um es jetzt kampflos den Hinterkaifeckern zu überlassen. Karl fand aber eine gute Möglichkeit, sich dem Dilemma zu entziehen: er meldete sich freiwillig für den Kriegsdienst des gerade ausgebrochenen ersten Weltkrieges und war schon im August 1914 in einer Kaserne in Ingolstadt, fernab von allem Gerangel daheim. Im Dezember war seine Ausbildung abgeschlossen und er kam an die Front nach Frankreich, dort fiel er nur vier Tage später im Dezember 1914.

    Die Geburt seiner Tochter im Januar 1915 erlebte er nicht mehr, es ist nicht mal sicher, ob er wusste, dass seine Frau schwanger war. Sie hatte es ihm jedenfalls nicht mitgeteilt, sie hat ihm gar keine Feldpost geschrieben. Im Hause Gabriel herrschte alles andere als reine Freude über das Enkelkindchen, denn Xaverl hat natürlich daheim erzählt, welche Zustände auf Hinterkaifeck herrschten. Ein direkter Nachfahre von Karl Gabriel konnte die Erbfolge des Hofes von Laag durcheinander wirbeln. Wäre Karl Gabriel kinderlos gefallen, hätte seine Ehefrau seinen damaligen Besitz geerbt, aber niemand hätte seine Finger nach dem Erbe von Viktorias Schwiegereltern ausstrecken können. Dieses Kind aber, das hatte die Macht dazu. Aber als ob das alleine nicht schon schlimm genug war, nein, zusätzlich konnte man nicht mal mit Sicherheit sagen, ob das Kind tatsächlich auch aus Karl Gabriels eigenem Fleisch und Blut bestand. Ebenso gut wäre es nämlich möglich, dass Cäzilia Gabriel ein Produkt aus dem inzestösen Verhältnis ihrer Mutter und ihrem Großvater war.

    Karl Gabriel sen. sah sich gezwungen, dagegen anzugehen und zeigte Andreas Gruber und seine Tochter Viktoria Gabriel wegen Inzestes an. Bei der Gerichtsverhandlung sagte u. a. auch Xaverl Gabriel aus, was er auf dem Hof alles gesehen und erlebt hatte und dies reichte, um die beiden wegen Inzests zu verurteilen. Es reichte aber nicht, um Cäzilia Gabriel aus der Erbfolge der Gabriels aus Laag zu tilgen, denn ein ehelich geborenes Kind hat automatisch den Ehemann der Mutter zum Vater, unabhängig von genetisch tatsächlichen Gegebenheiten. Das ist übrigens bis zum heutigen Tage so, festgelegt im § 1592 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

    Unabhängig von all diesen persönlichen und privaten Unbilden drehte sich das Rad der Weltpolitik und damit des Weltkrieges unablässig weiter und so wurde 1915 auch Xaver Gabriel eingezogen.

  • Eine virtuelle Ausstellung über König Ludwig II.

    Bavarikon ist das Internetportal des Freistaats Bayern

    Derzeit ist eine virtuelle Ausstellung über verschiedene Aspekte des Lebens von König Ludwig II. von Bayern auf Bavarikon zu sehen. Bavarikon ist das Internetportal des Freistaats Bayern zur Präsentation von Kunst-, Kultur- und Wissensschätzen aus Einrichtungen in Bayern.

    Plakat der virtuellen König Ludwig II.-Ausstellung von der Bayerischen Staatsbibliothek
    Plakat der virtuellen König Ludwig II.-Ausstellung von der Bayerischen Staatsbibliothek

    Thematisch wurden mehrere Themenblöcke erstellt und so kann man sich nicht nur über das Leben des Königs sondern auch über die damaligen politischen und sozialen Umstände informieren, erhält viel Information über die Königsschlösser und die anderen Bauten des Königs und auch Information zur Mythosbildung werden geboten.

    Wer also mal ein bisschen Zeit hat und bequem von zu Hause aus interessante Einblicke zum Thema König Ludwig II. haben möchte, ist hier genau richtig.

  • Wie es wirklich war – Teil 5

    Andreas Gruber stand vom Tisch auf, damit war das Essen beendet. Umgehend stoppten auch die anderen die Nahrungsaufnahme und begannen zusammen zu räumen. Andreas Gruber begab sich in den Stall, um dort seine Notdurft zu verrichten, bevor er sich zu Bett begeben würde. Da er der einzige Mann im Haus war, genoss er nach wie vor das Privileg, als erster in den Federn verschwinden zu dürfen, während der Rest der Bewohner noch die Küche aufräumen musste. Dann musste auch noch geprüft werden, ob alle Türen und Fenster verschlossen wären und schließlich musste sich jeder selber auch noch für die Nacht fertig machen.

    Und heute Abend sollte die Magd auch noch über die beiden anonymen Mitbewohner auf dem Heuboden aufgeklärt werden, nicht, dass sie auch glaubt, es würden spuken, wie es schon mal eine Magd tat, der man nichts von heimlichen Übernachtungsgästen verraten hatte. Schließlich wollte insbesondere Viktoria Gabriel auf keinen Fall auf die Dienste der Magd verzichten müssen. Es war genug Arbeit auf dem Hof und ihre Eltern wurden älter, das merkte man inzwischen auch bei so manch körperlich anstrengender Arbeit. Zunächst aber kümmerte sich Viktoria um ihre Kinder und brachte sie ins Bett. Währenddessen räumten die alte Frau Gruber und die Magd die Küche auf. Gerade als die Magd den Holztisch abwischte, kam Viktoria wieder in die Küche, von den Kindern war nichts zu hören. Sie sagte zur Magd: „Komm mal mit.“ und ging voraus in den Flur. Dort zogen sie die Hausschlappen aus und die hölzernen Stall Pantinen an, die Magd tat es ihr gleich, und jede nahm eine Laterne in die Hand.

    Dann durchquerten sie den Stall, die Schritte der Magd mit unregelmäßigem Geräusch, denn eines ihrer Beine war kürzer. Viktoria ging voran und stieß am Ende des Stallganges die Tür zum Futterflöz auf. Es führten drei Stufen hinab auf den festgestampften Lehmboden des Futterflözes. Viktoria ging noch ein Stück hinein in den Futterflöz, rechts von sich die Strohschneidemaschine lassend, auf der gegenüberliegenden Seite sah man im schwachen Schein der mitgebrachten Laternen die Leiter, die auf den Heuboden führte. In diese Richtung rief nun Viktoria: „Kommt runter, ich will euch der neuen Magd zeigen.“ Oder rief sie: „….ich will euch die neue Magd zeigen“? Maria Baumgartner jedenfalls war sich nicht sicher, aber das war ihr auch egal. Sie würde noch weitere Menschen kennenlernen. Das machte ihr auf der einen Seite Angst, sie hatte nicht immer gute Erfahrungen mit anderen Menschen gemacht, aber andererseits mochte sie das auch, weil sie gerne jemanden hatte, der ihr zuhörte. Sie war, so würde man heute sagen, schlichten Gemütes. Früher nannte man sie einfach schwachsinnig. Das riefen ihr schon die Kinder in der Schule hinterher. Dazu kam, dass sie hinkte.

    Ein Bürgermeister, in dessen Gemeinde sie eine Anstellung gefunden hatte, hat sie des Ortes verwiesen, weil er in „seinem“ Ort keinen Krüppel haben wollte. Äußerlich ließ sich Maria nichts anmerken, aber natürlich schmerzten sie diese Erfahrungen. Um so mehr freute sie sich, wenn sie Menschen in ihrer Nähe fand, die ihr wohlgesonnen waren.

    Nachdem Viktoria gerufen hatte, konnte man scharrende und knarzende Geräusche auf dem Heuboden vernehmen, die sich Richtung Treppe bewegten. Nach kurzer Zeit war eine Person in dem schon von der Dunkelheit nahezu verschlungenem Licht der beiden Laternen zu sehen, die zu den Frauen hinabstieg. Anhand der Statur und den Bewegungen konnte man aber erkennen, dass es sich um einen Mann handelte. Langsam kam er näher und wurde für die beiden Frauen immer besser sichtbar, je näher er sich der Lichtquelle ihrer Laternen näherte. Nach ihm kam noch eine Person die Leiter hinunter, kleiner als der erste Mensch und irgendwie ungewöhnlich, so kam es zumindest der Magd vor. Beide waren in warme, aber schmutzige und schon oft geflickte Kleidung gehüllt. Auch die Gesichter waren nicht frisch gewaschen. Beide Personen standen nun recht nah bei Viktoria und der Magd und da sah Maria, was sie an der zweiten Person stutzen ließ: Es war eine Frau. Diese Frau war zwar in Männerkleidung gekleidet, aber es war eindeutig eine Frau.

    Viktoria wandt sich an die beiden Personen und übernahm das Wort: „Dies hier ist unsere neue Magd Maria.“ Und während die beiden Maria zunicken und „Griaß di“ sagten, sagte Viktoria zu Maria gewandt: „Die beiden übernachten ein paar Tage oben im Heuboden. Nicht, dass du dich wegen der Geräusche erschreckst.“ Maria schaute zuerst den Mann und dann die Frau an und erwiderte „Grüß Gott“. Dann wanderte ihr Blick zurück zum Mann, erst sah sie ihn recht nachdenklich an, dann erhellte sich plötzlich ihr Gesicht und sie sagte völlig unvermittelt: „Jetzt weiß ich, woher ich dich kenne. Du hast das gleiche Gesicht wie der kleine Josef hier. Du bist bestimmt sein Vater.“

    Ab diesem Moment überschlugen sich die Ereignisse. Es brach wie ein Vulkanausbruch aus der fremden Frau, die sich wie eine Hyäne auf Viktoria stürzte, ihre Hände um ihren Hals legte, fest zudrückte und wie von Sinnen schrie: „Du verdammte Hure, du.“ Der Mann versuchte, die Frau von Viktoria abzubringen und griff nach ihren Händen. Beide Frauen strauchelten und fielen zu Boden, der Mann stolperte über sie hinweg. Die Magd – sehr erschrocken über die völlig unerwartete Reaktion – lief so schnell sie nur konnte zurück in den Stall und durch den Flur, ohne die Holzpantinen zu wechseln, in die Küche, dort zur alten Frau Gruber etwas unverständliches rufend, und in ihre Kammer und schmiss die Zimmertür hinter sich zu. Angstvoll verkroch sie sich unter ihrem Bett.

    Wie es wirklich war – Epilog

    Wie die Geschichte weiter geht, ist mehr oder weniger gesichert, jedenfalls das Endergebnis steht fest, es kamen nämlich alle Bewohner des Hauses um und der oder die Mörder wurden nie gefasst.

    Wer die beiden Unbekannten gewesen sein könnten, ist auch der Fantasie jedes einzelnen Lesers überlassen. Es müssten auf jeden Fall Menschen gewesen sein, die durch das Bekanntwerden ihres Aufenthaltsortes viel zu verlieren gehabt hätten, denn nur das erklärt, warum bei einem eskalierenden Streit alle getötet werden mussten. Damals hatte man aber beispielsweise als gesuchter Mörder auch wirklich viel zu verlieren, die Todesstrafe war noch an der Tagesordnung.

    Wie sich sicher alle schon gedacht haben, beruht diese Geschichte natürlich nicht auf irgendwelchen überlieferten wahren Sachverhalten, das war ein plumper erster-April-Scherz. Aber die grundsätzliche Überlegung, ob diese Theorie wahr sein könnte, ist natürlich sehr willkommen.

  • Auch Hinterkaifeck hat viele Aspekte eines Amoklaufs

    Auch Hinterkaifeck hat viele Aspekte eines Amoklaufs

    »Was kränkt, macht krank, was kränkt, löst Krisen aus, Kränkungen führen zu Kriminalität und Krieg« – so lautet die Hauptthese des Buches „Die Macht der Kränkung“ (Amazon-Affiliate-Link). Der Autor Reinhard Haller (Link zu Wikipedia) ist Kriminalpsychiater und Gerichtsgutachter.

    Inspiriert von diesem Buch gibt es in der ZDF-Mediathek die Serie „Am Anschlag – die Macht der Kränkung“ zu sehen.

    Auch Hinterkaifeck hat viele Aspekte eines Amoklaufs. Wer könnte so gekränkt worden sein, dass er zu dieser Tat fähig war?