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  • Die Landstorfer Bande

    Eine Kriminalgeschichte aus dem Bayerischen Wald

    Der Bandenchef Landstorfer war nur 1,56 Meter groß, von primitiver Lebensart und voller Minderwertigkeitskomplexe, die er mit Gewalt überdeckte. Dennoch erlangte er im vorigen Jahrhundert einen hohen Stellenwert, weil sich um seine Untaten viele Legenden ranken. Johann Dachs forschte zwei Jahre nach nachprüfbaren Unterlagen, wertete polizeiliche, staatsanwaltliche- und Gerichtsakten in Staatlichen Archiven aus. Überrascht hat mich, dass nicht in allen bayerischen Zuchthäusern Lichtbilder der Insassen für die Personalakte angefertigt wurden. Anton Landstorfer wurde am 01.April 1902 in Ittling geboren, zwischen November 1931 und Februar 1935 begingen er und seine Bandenmitglieder viele schwere Einbrüche und Brandstiftungen, durch Raub, Mordversuche und einem vollendeten Mord. Die Orte der meisten Überfälle fanden sich im Bezirksamtsbereich Mallersdorf, Straubing, Bogen, Deggendorf, Viechtach, Kötzting, Cham und hinauf nach Amberg.

    Ein anderer Fall sorgte im Dezember 1931 in Deggendorf für aufsehen.

    Der Doppel-Raubmord von Oberbubach

    Joseph Fraundorfer hatte am 06. Dezember 1931 in Oberbuchbach die Krämerstochter Babette Frey und ihre dreijährige Nichte auf grausame Weise ermordet und die Kasse des Krämerladens ausgeraubt. Er wurde vom Schwurgericht Deggendorf zum Tode verurteilt.

    Das Ende der Landstorfer Bande

    Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht. Im Falle von Anton Landstorfer viel die Liste der zusammengetragenen Sachbeweise ziemlich deftig aus. Einmal Mord, sechzehnmal Brandstiftung, schwerer Raub, schwerer Diebstahl im Rückfall.

    Die Bandenmitglieder wurden zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt, Anton Landstorfer fand sein Ende am 29.Juli 1936 unter der Fallschwertmaschine.

    Anton Landstorfer

    Lieber zehn Morde als eine Brandstiftung.

    Bei einem Mord habe ich zumindest eine Leiche, bei den meisten Bränden aber ist es zunächst fraglich, ob überhaupt ein Verbrechen vorliegt.

    Kriminalamtmann Hans Schmid war sechzehn Jahre Chef des Morddezernats der Landes-Kriminalhauptstelle Bayern und zwölf Jahre Leiter der Dienststelle zur Erforschung von Brand- und Explosionsursachen.

    Kriminalamtmann Schmid war im Fall Landstorfer Bande involviert.

  • Hinterkaifeck in der Weltbild 1953

    In der Ausgabe 4 – 2. Februarheft des Jahrgangs 1953 der Illustrierten Weltbild wurde über Hinterkaifeck mit einem weiteren Artikel berichtet.

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    Sie nennen mich Mörder
    Sie nennen mich Mörder

    Sie nennen mich Mörder ohne den Schatten eines Beweises!

    Ein hinter die Kirche geducktes Haus, grau, mit langen Reihen kleiner Fenster. Ein Scheunentor führt hinein. Wo wohnt Herr Gump? Eine Frau deutet zu einer schmalen eisernen Treppe hinüber. „Da oben!“ Lüstern, neugierig schaut sie uns an. „Ich hab es in der Zeitung gelesen“, sagt sie, „der Frau soll es sein, sagen die Leute . . .“ Die eiserne Treppe wankt unter unserm Gewicht. Dann lesen wir an der Tür: Gump!
    Wir sind aufgeregt. Wir besuchen ja in dieser bayerischen Kleinstadt einen Mörder. „Eine Bestie in Menschengestalt“, hat ihn eine Zeitung genannt. Sechs Menschen sind damals, am 31. März 1922, erschlagen worden. Hinterkaifeck, das war ein Einöds-

    Beschriftungen bei den Abbildungen

    „Dort geht der Mörder!” raunen die Leute auf der Straße und drehen sich nach ihm um. Fünf Jahre war er im Außendienst des Wohnungsamtes tätig. Jeder zweite kennt ihn daher in der kleinen Stadt.

    Die grauenvolle Bluttat auf dem bayerischen Einödhof Hinterkaifeck — sechs Menschen erschlagen, eine ganze Familie ausgerottet — ist seit dreißig Jahren ungesühnt und rätselhaft geblieben. WELTBILD —Reporter suchten im vorigen Jahr (Weltbild Nr. 7/1952) einen Priester auf, dem eine Frau auf dem Totenbett anvertraut hatte, dass ihre beiden Brüder die Mörder gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft griff ein und verhaftete den überlebenden Bruder. Und jetzt melden Rundfunk und Presse: Endlich der Mörder gefunden, aber wegen Verjährung der Tat in Freiheit gesetzt! Unsere Reporter G. Gronefeld und H. Ulrich haben mit jenem Mann gesprochen, der wegen des furchtbaren Verbrechens über Nacht zum Geächteten wurde.

    Wie ein Blitzschlag trifft dieses Ehepaar die Rundfunkmeldung, man habe den Mörder von Hinterkaifeck. „Auf Silvester, beim Halmaspielen, hören wir es. Wir atmen beide auf. Gott sei Dank! ruf ‚ ich aus. Da merke ich entsetzt: Ich selber bin ja gemeint!

    „Ich bin unschuldig!“ beteuert Anton Gump, der 65 jährige Rentner, der wochenlang in Untersuchungshaft schwersten Verhören unterzogen wurde. „Ich habe mein ganzes Leben ehrlich gearbeitet. Wenn meine Schwester wirklich mich und meinen toten Bruder Adolf mit ihrer Bezichtigung gemeint haben sollte, so kann ich nur sagen: Mit meinem Bruder war sie verfeindet, und ich habe sie seit meinem 13. Lebensjahr ganze zweimal gesehen. Wie konnte sie zu einer solch furchtbarer Anschuldigung kommen.

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    Hof, fünfhundert Meter vom nächsten Dorf weg, zwischen Augsburg und Ingolstadt. Der Bauer Gruber hauste darin mit seiner Familie, seltsame, abweisende, etwas verrufene Leute. Die zwei Kinder auf dem Hof waren in Blutschande gezeugt. Aber Geld hatten die Leute, viel Geld, in Papier, Silber und Gold. Und davon fehlte nichts, gar nichts, als man den Mord entdeckte. Die Leichen des alten Bauern und seiner Frau, der Tochter Viktoria und der siebenjährigen Cäcilie lagen in der Scheune neben der Stalltür. Alle mit einer Hacke erschlagen. Dem kleinen Josef, dreijährig, war durch das Dach des Kinderwagens der Schädel zertrümmert worden, die Magd lag tot in ihrer Kammer.
    Es fehlte kein Geld, es fehlten nur geräuchertes Fleisch und Eier. Aus einer Brieftasche wurde etwas genommen, sonst war nichts durchwühlt. Und wie merkwürdig: das Vieh wurde die drei Tage nach der Mordtat immer gefüttert.
    Aus zwei Liegeplätzen im Heu schloss man auf zwei Mörder. Zahlreiche Verdächtige wurden verhaftet, aber weil das Verbrechen erst an vierten Tage entdeckt wurde und frischer Schneefall Spuren verwischte, versagten selbst die Hunde der Polizei. Hass und Rache tobten sich alsbald in der Gegend aus. Eine Tochter zeigte ihren Vater an, er sei der Mörder von Hinterkaifeck, und der alte Mann saß drei Monate, bis sich seine Unschuld herausstellte.
    Der Staatsanwalt hat uns vor Gump gewarnt: „Das ist ein versierter Mensch. Der kennt sich aus. Der wird Sie in Grund und Boden reden!“ Das kann man sich vorstellen bei einem Mann, der sechs Menschen erschlug und diese Tat dreißig Jahre in seinem Innern verbarg.
    Wir klopfen. Wir öffnen die Tür und stehen in einer kleinen sauberen Küche. Eine alte Frau steht vor uns. Böse sieht sie uns an. Kampfbereit wischt sie die Hände an ihrer Schürze ab und deutet nach hinten: „Da sitzt mein Mann.“
    Vom Sofa erhebt sich ein kleiner alter rotbäckiger Mann mit einer großen Nase und grauen Haaren, die wie bei einer Bürste nach oben stehen. Er trägt einen Schnurrbart, der heftig zu zittern beginnt, sobald er erregt ist. Unbeholfen, hilflos steht er da, erschrocken, aufgeregt, übernächtigt. Die Röte auf seinem Gesicht weicht dann und wann einer wächsernen Blässe.
    Wir zeigen ihm die „Warnung“, die er selbst in der Zeitung veröffentlicht hatte: „Im Zusammenhang mit der Mordtat von Hinterkaifeck und den diesbezüglichen Presseberichten wurde in Ingolstadt und auswärts mein Name genannt. Ich werde jeden gerichtlich belangen, der mich mit der genannten Tat mündlich oder schriftlich in irgendeine Verbindung bringt. Ich bin mir keinerlei Schild bewusst und werde versuchen, auf dem Prozesswege meine Unschuld zu beweisen.“
    Gump spricht stockend, er sucht nach Worten, es fällt ihm schwer, fließend zu reden. Seine Worte sind einfach, vom Augenblick eingegeben, nicht vorbedacht. Dieser Mann soll „versiert“ sein? Wir verstehen den Staatsanwalt nicht.
    Dieser Mann hier lebt unter einem furchtbaren Druck, dem er nicht ausweichen kann. Schon die Geschichte der Warnung, die er uns jetzt erzählt, bezeugt seine Hilflosigkeit.
    Da erscheint in der Zeitung seiner Stadt ein Artikel, in dem Gump, zunächst noch ohne Namen, des Mordes bezichtigt wird. Drei Tage später bestellt ihn dieselbe Zeitung auf ihre Redaktion, durch einen Brief, in dem steht:“… dass in den nächsten Tagen mit Wahrscheinlichkeit Ihr Name in Zusammenhang mit der Affäre Hinterkaifeck durch die Presse gehen wird … wir wollen Ihnen Vorschläge machen, um dies zu vermeiden.“
    Gump geht geängstigt hin. Man fordert von ihm, er solle eine Warnung in die Zeitung setzen, um sich gegen böse Zungen zu wehren. Er weigert sich. Da lässt man ihn selbst ein Telefongespräch führen, aus dem er glaubt entnehmen zu müssen, auch in Pfaffenhofen werde sein Name in Verbindung mit Hinterkaifeck genannt. Darauf gibt er, ganz verstört, seine Einwilligung zu der Warnung, die als kostenloses Inserat am nächsten Tage erscheint. Form und Inhalt der Warnung setzt ihm die Redaktion auf. Der Rechtsanwalt, zu dem er nachher geht, weil man ihm in der Redaktion auch noch, ohne ihn zu fragen, fotografiert hat, fragt entsetzt:
    „Wie konnten Sie so was zulassen? Wissen Sie nicht, was das in den Augen der Leser bedeutet? Sie haben sich selbst gleichsam des Mordes bezichtigt.“
    Die Frau tritt neben ihren Mann. Ihr Gesicht ist vom Weinen gerötet! „Mein Toni ist kein Mörder!“ Sie klammert sich an ihn. Er greift sich mit der Hand an die Brust. Hilflos und schmerzlich ist sein Blick auf uns gerichtet.
    „Ich bin unschuldig“, sagt er in einem Ton der so wahr und echt klingt, dass es uns erschüttert.“ Ich

    Beschriftungen bei den Abbildungen

    „Zwölf Jahre lang, schon 1922, habe ich in der Fabrik neben Gump Anton gesessen“, sagt Herr Leykam, ein Arbeitskollege. „Da lernt man einen Menschen kennen. Er war immer vergnügt. Hab‘ nie was bemerkt. Für den leg ich meine Hand ins Feuer!“

    „Die größten Räusche haben wir miteinander gehabt“, erzählt der Bauer Thoma in Schönbichl vom verstorbenen Adolf Gump, der viele Jahre bei ihm gewohnt hat. „Nie was Verdächtiges gehört. Im Rausch hätte er bestimmt nicht den Mund gehalten.“

    „Hören sie mir auf mit dem Totenbettgeständnis!“ Gumps Schwager Herr Liebl, war vor dem Krieg in Amerika und las dort Briefe der Verstorbenen an einen Onkel. „Sie strotzten nur so von Verleumdungen. Wie kann man diese Person ernst nehmen!“

    Sechs Särge – sechs Opfer in der Scheune des inzwischen abgerissenen Hinterkaifecker Hofes: Andreas Gruber, 64, Cäcilie Gruber, 73, Josef Gabriel, 3, Viktoria Gabriel, 35, Maria Baumgartner, 45, Cäcilie Gabriel, 7 Jahre alt. In dem Kinderwagen – dem stummen Zeugen des Grauens – fand man den erschlagenen Jüngsten. Rechts: der Hof.

    Weltbild
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    habe überhaupt nichts mit der ganzen Sache zu tun.“
    „Wir sind jetzt dreiunddreißig Jahre verheiratet“, sagt Frau Gump. „Damals ist er in die ‚Deutschen Werke eingetreten und hat fünfundzwanzig Jahre dort gearbeitet. Immer im Akkord. Er kam abends müde nach Hause und hat sich gleich hingelegt. Der hatte keine Zeit, um Leute umzubringen. Und damals sind wir jung verheiratet gewesen. Ich war krank. Ich bin sehr viel krank gewesen. Ich kann mir keinen besseren Mann als Toni vorstellen. So geduldig hat er mich gepflegt. Glaube Sie, eine Frau hätte das nicht in dreiunddreißig ihrer Ehe herausbekommen, ob ihr Mann ein Mörder ist oder nicht?“

    Im Kreuzverhör

    „Ich war im vergangenen Mai drei Wochen in Untersuchungshaft“, sagt Gump. Der Untersuchungsrichter hat mir gesagt, ich solle ruhig gestehen, es wäre ja schon verjährt … Aber ich konnte ja nicht gestehen, wenn ich nichts wusste!“ Dann setzt er leise hinzu: „Ich habe ihm gesagt: ‚So etwas kann nicht verjähren. So ein scheußlicher Mord muss aufgeklärt werden. Der darf nicht verjähren.‘ Aber das hat er auch wieder sehr verdächtig gefunden.“
    „Wenn es nicht endlich herauskommt, wer wirklich der Mörder war, dann bleibt es ja doch auf dem Toni“, schluchzt seine Frau, Am Silvesterabend haben die beiden aus dem Radio gehört, dass die Jagd auf ihn noch einmal anging. Dann kamen die vielen Artikel in den Zeitungen. „Ich habe die Nächte nicht mehr schlafen können“, weint Frau Gump. Und er wirft ein: „Ich habe den Gashahn aufdrehen wollen, aber dann hätten doch alle gesagt: ‚Aha, da sieht man’s. Er ist es also gewesen.’“
    Ja, da sind die Leute, die sie persönlich kennen, die lachen darüber, dass der Toni ein Mörder sein soll. Aber da sind die vielen andern, die zwar wissen, wie ‚Gump aussieht – er war zuletzt fünf Jahre Prüfer beim Wohnungsamt und lief einmal von Wohnung zu Wohnung -, aber die ihn nicht näher kennen. Die sind es, die tuscheln und mit dem Finger auf den alten Mann zeigen und die es glauben, wenn in einer Frankfurter Zeitung steht: „Der Untersuchungsrichter richtet keine Fragen mehr an den überführten Mörder. Angesichts des vor ihm kauernden Verbrechers läuft es sogar dem erfahrenen Kriminalisten eiskalt den Rücken hinunter. „An dieser Schilderung ist kein wahres Wort.
    Was hat diesen Mann in diesen furchtbaren Verdacht gebracht? Die Aussage seiner Schwester, einer Frau, die auf dem Totenbett gestanden haben soll, ihre beiden Brüder seien die Mörder von Hinterkaifeck. Eine Frau, die auf dem Totenbett liegt, spricht die ‚Wahrheit, scheint ein unumstößlicher Satz zu sein. Aber die Kriminalgeschichte kennt mehr als einen Fall, in dem Sterbende bewusst gelogen haben, um einen satanischen Hass auch nach ihrem Tode noch walten zu lassen. Was ist diese Creszentia Meier, die ihre Brüder des Mordes bezichtigt hat, für eine Frau gewesen?
    „Ich hab‘ sie 1919 zum ersten mal gesehen, bevor wir geheiratet haben“, erzählt die Ehefrau. „Der Toni hat mich als seine Braut vorgestellt, und sie hat wütend zu ihm gesagt: ‚Ich kenne dich nicht.’“
    Am anderen Tag sind wir mit dem alten Mann unterwegs. Wir sind etwas vorsichtig. Immerhin glaubt die Staatsanwaltschaft doch anscheinend immer noch, dass er ein Mörder ist. Vielleicht ist doch etwas dran? Wir setzen Gump vorne neben den Fahrersitz. Der Sicherheit halber…
    Bei dem Bauern Thoma in Schönbichl sind wir zuerst. Dort hat der andere Bruder gewohnt, Adolf Gump, von dem es heißt, dass er von erbitterten Kriegsgefangenen, die er brutal gequält haben soll, erschlagen wurde. Aber hier ist nur was von einem Fahrradunfall bekannt. Man stellt ihm das beste Zeugnis aus. Er sei ein großer „Militarist“ gewesen, aber sonst eine „Seele von Mensch“. Die Witwe legt uns später den Totenschein ihres Mannes vor. Es wird darauf bestätigt, dass Gump eines natürlichen Todes gestorben ist. Dieses Dokument befindet sich anscheinend nicht in den Akten des Staatsanwalts.
    Der alte Thoma erzählt uns, wie die Creszentia Meier 1938 ihren sterbenden Vater dazu gebracht hat, vor seinem Tode zu ihr zu ziehen. „Einmal ist sie hier gewesen. Im Gasthaus hat sie gewohnt. Es war ihr nicht fein genug hier bei uns. Dem alten Gump hat sie gesagt, sie würde ihn Pflegen wie ihren Augapfel. Er hat nicht recht gewollt. Dann hat sie heimlich Briefe an ihren Vater geschrieben. Ich weiß nicht, was sie geschrieben hat. Was Gutes wird es nicht gewesen sein. Denn der Vater ist wirklich misstrauisch geworden auf uns. Und auf den Adolf. Eines Tages hat er seine Sachen zusammengepackt und ist nach Augsburg gefahren. Ich weiß dann nicht mehr viel. Bloß dass die Centa den Vater für hundert Mark an die Anatomie in München verkaufen wollte. Meine Tochter, die ihn nach Augsburg gebracht hat, die hat sie verdächtigt, ihn bestohlen zu haben.“
    Wir erreiche Augsburg. Gump sitzt jetzt hinten. Langsam haben sich Gestalt und Wesen der Frau herausgeschält, die eine so entsetzliche Anklage gegen ihre Brüder erhob.
    Bei der Schwester Tina liefern wir unseren „Mörder“ ab. Es dauert nicht lange, und wir haben die ganze Familie um uns versammelt, zwei Schwestern, einen Schwager, eine Kusine.
    „Soll ich es sagen?“ ruft Schwester Rosa aus, und Schwester Tina sagt: „Wir müssen es sagen. Wir müssen dem Toni jetzt helfen. Wir können keine Rücksicht auf die Familie nehmen.“

    Hundert Teufel im Leib?

    Und dann erfahren wir die scheußlichsten Dinge über die Tote, von allen bezeugt, so schlimm, dass es uns ekelt vor so viel Niedertracht und menschlicher Kälte. Es ist unmöglich, alles das öffentlich auszubreiten, es genügt, wenn bezeugt wird, dass Frau Centa Meier ihren sterbenden Vater dafür geprügelt hat, dass er nicht reinlich genug war, dass sie ihm die Blumen aus der Hand riss und zerstampfte, weil Schwester Tina uns Schwester Rosa sie dem Vater mitgebracht hatten. Das letzte Wort des Vaters über seine Tochter Centa ist gewesen:
    „Die hat nicht einen Teufel im Leib, sondern hundert.“
    Als Schwester Tina die Tobende einmal zur Rede stellt, wie sie den Vater so schrecklich behandeln könne, schreit sie: „Ich bin ja gar keine Tochter net von eurem Vater.“ Sie beschimpft die tote Mutter, bezichtigt sie eines Seitensprungs mit dem Vater desselben Adolf Meier, den sie geheiratete hat. Die Meiers haben neben dem Hause der Gumps gewohnt. „Unsere Mutter ist eine gute Mutter

    Weltbild
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    gewesen“, weint Schwester Tina. Wir hören von Prügeleinen, die diese Centa angezettelt hat, um derentwillen sie stadtbekannt war, wir hören davon, wie Meiers von Wohnung zu Wohnung ziehen mussten, weil Centa überall die Menschen verleumdete, wir hören, dass Centa Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einem Sturz aus dem Heuboden eine schwere Kopfverletzung davontrug und auf eigene Verantwortung ungeheilt entlassen wurde.
    Zuletzt besuchen wir noch jenes Café in Augsburg, wo Centa Meier einmal Hausmeisterin war. Die Besitzerin erinnert sich bald. „Herrgott, das war doch die, die so unglaublich schmutzig war. Gestohlen hat sie, Und sonst war es auch nicht richtig bei ihr. Ja, die haben wir sehr schnell wieder entlassen … Ja, die … wenn es die ist, die Sie meinen, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass bei ihrer angeborenen teuflisch Art alles Lug und Trug war, was sie gebeichtet hat.“
    Wir erinnern uns, was ihr Beichtvater, Kaplan Hauber, einigen Jugendlichen über Frau Meier erzählt hat: „Diese Frau hat nur erklärt, dass ihre Brüder in Augsburg leben.“ Aber weder Adolf noch Anton Gump haben jemals in Augsburg gewohnt…
    Anton Gump ist zur Zeit der Tat Fabrikarbeiter gewesen. Adolf Gump, der ältere, war Korbmacher. Er zog mit einem Schubkarren voller Körbe, Bettzeug und ähnlichem Hausrat mit seinem Vater zusammen auf dem Lande umher, von Dorf zu Dorf, wegen seiner Armut und seines Berufes bei den begüterten Bauern nicht eben angesehen.
    Bettelarm war Adolf, arm war sein Bruder. Aber der Hof in Hinterkaifeck war voller Geld. Gold und Silber fand man in einem Schrank, denn die Mörder nicht einmal aufgemacht hatten, obwohl sie noch drei Tage nach der Tat im Hause gewesen sein müssen. Nicht einmal das Papiergeld, das der alte Bauer in einer Tasche unter seinem Kopfkissen verbarg, haben die Mörder genommen. Welches Unmaß von Hass muss die Mörder getrieben haben, wenn in der damaligen Zeit der beginnenden Inflation sogar Gold und Silber für sie gleichgültig waren. Und man fragt sich: Hätten so arme Leute wie die Gumps, drei Tage mit diesen Schätzen eingesperrt, der Verlockung widerstanden?
    Wir haben weiter gesucht. Wir dachten an Eifersucht. Aber war es denkbar, dass einer aus Eifersucht eine ganze Familie ausrottet und dass ihm dabei der unbeteiligte Bruder hilft? Wir haben geforscht und haben einen Zeugen gefunden, der die Grubers gut gekannt hat. Was dieser Mann aussagt, deutet auf Rache, aber weit weg von den Brüdern Gump. Der Staatsanwalt ist eine Spur zu Ende gegangen. Er muss umkehren und weitere Spuren verfolgen, vielleicht lassen sie sich noch einmal auffrischen, vielleicht ergeben sich zwischen ihnen Zusammenhänge. Der Name Hinterkaifeck bleibt auch nach dreißig Jahren in rätselhaftes Dunkel gehüllt.
    ENDE

  • Hinterkaifeck in der Weltbild 1952

    Hinterkaifeck in der Weltbild 1952

    In der Ausgabe 7 – 1. Aprilheft des Jahrgangs 1952 der Illustrierten Weltbild wurde über Hinterkaifeck mit einem dreiseitigem Artikel berichtet.

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    Ich weiß wer die Mörder sind
    Ich weiß wer die Mörder sind

    „Ich weiß wer der Mörder ist…

    …aber sage es nicht!“ Seit Jahren kennt ein Geistlicher das Geheimnis einer furchtbaren, bisher ungesühnten Mordtat. Aus seinen Andeutungen geht hervor, daß die Täter noch leben. WELTBILD-Reporter Heinz Ulrich und Gerhard Gronefeld forschten daraufhin in monatelanger Arbeit den Spuren des Verbrechens nach. Es ist als wären die Geister der Toten wieder lebendig geworden. Ein Stein ist ins Rollen gekommen.

    „In einer kleinen schwäbischen Landstadt sitzt ein Priester, der weiß es“, schreibt am 10. Oktober 1951 der neunzehnjährige Schriftsetzer Lehrling Rudolf Stolz an die Radaktion der „Schwäbischen Landeszeitung“ in Augsburg. „Der Priester weiß, wer die Mörder sind“, schreibt er, „aber er will es nicht sagen.“
    „Sonst wir man denken: die Kirche hat Diener, die nicht zu schweigen verstehen“, hatte der Geistliche zu diesem jungen Mann gesagt, als sie einmal im Kreise der Pfarrjugend über das Beichtgeheimnis sprachen. In diesem Gespräch hatte der Priester erwähnt, dass er die Täter eines seit dreißig Jahren ungesühnten ungeheuerlichen Verbrechens kennt – die sechsfachen viehischen Mörder, die „Schlächter von Hinterkaifeck“.
    Dreißig Jahre liegt diese Mordtat nun zurück. Sie wäre im April dieses Jahres verjährt, wenn nicht immer wieder, zuletzt im November 1951, neue Verdachtsmomente aufgetaucht wären. Sie erwiesen sich stets als falsch oder unzureichend, aber die vergilbten Akten fanden keine Ruhe in ihren Regalen. Und die Verjährungsfrist von dreißig Jahren beginnt mit jeder neuen richterlichen Untersuchung wieder von vorne zu zählen.
    Und nun ist da ein Mann, der die wirklichen Mörder kennt. Aber er sagt nichts. Doch immerhin hat er den Burschen und Mädchen der Pfarrjugend so viel erzählt, dass mit einem Male eine Spur da ist, eine ganz neue Spur mit verwehten, aber doch noch erkennbaren Fährten.

    Auf dem Totenbett

    „Es sind Leute, die bisher noch niemand verdächtigt hat!, sagte der Priester. „In keinem Protokoll sind sie aufgetaucht, in den ganzen langen dreißig Jahren. Sie konnten sich sicher fühlen.“ Und er hat weiter erzählt, daß ihn während des Krieges, er als Kaplan in einer Großstadt war, eine fünfzigjährige Frau ihn rufen ließ. Sie lag auf dem Totenbett und wollte ihr Gewissen erleichtern. Sie hat ihm die Namen der Mörder genannt. Sie hat gesagt, er solle es der Polizei mitteilen. Diese Geständnis erfolgte außerhalb der Beichte. Der Priester könne es also sagen. Aber nach dem Gesetz ist er dazu nicht verpflichtet.
    Die Zeitungsnotiz kommt natürlich in die Hände des Staatsanwalts. Der junge Mann wird vernommen. Auch in der WELTBILD-Redaktion wird der Fall besprochen. Der Standpunkt des Pfarrers wirft ein Problem auf, das für die Allgemeinheit von größtem Interesse ist. Man muss mit diesem Geistlichen sprechen…

    *

    Es ist im Februar, Schneestürme wehen über die Schwäbische Alb. Nach schwerer Fahrt stehen wir abends endlich vor dem Kaplan A. (Der Name wird hier auf Wunsch der Staatsanwaltschaft verschwiegen.) In der Küche eines Gasthofs seiner Gemeinde haben wir ihn getroffen. Er ist ein fester, aufrechter Mann, der Kaplan, vierzig Jahre alt, ein Landpriester, der aus diesem Ort stammt und die schwäbische Mundart seiner Heimat spricht. Bevor wir ihm sagen, weswegen wir kommen, weiß er schon, was wir wollen.
    „Ich habe mir gedacht, daß bald einer kommen würde …aber ich sage nichts“, setzt er sofort hinzu.
    „Aber es stimmt doch alles!“
    „Was ich gesagt habe stimmt.“
    „Sie kennen die Mörder?“
    „Ja“, sagt er, ohne zu schwanken.
    „Wann ist das gewesen, das mit der Frau?“
    „Das ist lange her“, sagt er und kneift die Augen zusammen. „Gegen Mitte des Krieges mag es gewesen sein – vielleicht zweiundvierzig.“

    Unterschriften unter den Abbildungen:

    Bleibt ihr Tod ungerächt? Das sind die Namen der Opfer von Hinterkafieck. Vor dreißig Jahren stand diese Danksagung in der Zeitung. Die zwei Mörder leben noch heute unerkannt. Nur ein Mann kennt ihre Namen…

    Das ist der Mann, der es weiß… Der Kaplan A. aus einem schwäbischen Landstädtchen, hier auf dem Weg zur Kirche fotografiert, bestätigte es den WELTBILD-Reportern: Eine Sterbende trug ihm auf, ihre Brüder als die sechsfachen Mörder von Hinterkaifeck anzuzeigen. „Aber ich sage es nicht!“ Dabei blieb der Geistliche bisher. Von der Schweigepflicht des Seelsorgers ist er entbunden, aber nach dem Gesetz kann er trotzdem das Zeugnis verweigern.
    Fotos: Gerhard Grossfeld

    Ich weiß wer die Mörder sind ..
    Ich weiß wer die Mörder sind ..

    „Die Frau hat also gesagt, dass ihre zwei Brüder die Mörder sind?“
    „Sie hat schwer gerungen mit diesem Geständnis“, sagt der Kaplan.
    „Drei Stunden lang habe ich bei ihr gesessen. Sie hat mich gebeten, es der Polizei mitzuteilen. Aber ich konnte mich nicht entschließen.“
    „Wo sie doch selbst darum gebeten hat?“
    „Ein Priester soll schweigen“, sagt der Geistliche. „Das ist mein Standpunkt. Verstehen sie das nicht?“

    Und wenn der Staatsanwalt…

    „Aber wenn sie der Staatsanwalt fragt? sind sie dann nicht verpflichtet, es ihm zu sagen?“
    „Nein“, sagt er, „ich brauche es niemanden zu sagen. Es kann mir auch niemand befehlen es auszusagen. Auch meine geistlichen Oberen nicht … Nein, ich schweige“, sagt er und wischt sich den Schweiß von der Stirne. Es ist immer heiß in der Küche, in der wir noch immer stehen. Man hat uns allein gelassen. Der Kaplan tritt unruhig hin und her. Er ringt mit seinem Gewissen. Sechs Menschen hat man damals umgebracht, und noch immer gehen die Geister der Toten herum in der Welt und wollen gerächt sein. Da sitzt eine Familie in der Gegend von Hinterkaifeck, die wird von den anderen gemieden, weil man noch heute glaubt, einer der ihren sei der Mörder gewesen. Noch heute ist die Familie der Gabriels verfemt. Man deutet mit Fingern auf sie, und man erzählt dem Fremden: Die waren’s…“ Seit dreißig Jahren wuchtet auf ihnen der schwere Verdacht. Er wird nie verstummen, bevor man die wirklichen Mörder findet…
    „Das weiß ich“, sagt der Kaplan, „aber ich kann es nicht sagen. Sie müssen mich doch verstehen!“ Aber wir verstehen ihn nicht.
    „Es ist so lange her“, sagt er und ringt seine Hände. „Man soll es doch ruhen lassen.“
    „Aber es ruht ja nicht“, sagen wir. „Es lastet ja doch schwer auf den Menschen in dieser Gegend. Es ist wie ein Fluch…“
    „Ich will mit der Sache nichts zu tun haben“, sagt er. Zwei Stunden haben wir diskutiert und sind keinen Schritt weiter gekommen. Wir brechen ab und drücken ihm die Hand.
    „Ich bin Ihnen nicht böse“, sagt der Geistliche. „Sie haben ehrlich gesagt, was Sie wollen , und ich habe gesagt, was ich denke. Es geht nicht.“ Zittert seine derbe Bauernhand nicht? Uns scheint es so. Es hat ihn erschüttert. Ist er in seiner Meinung schwankend geworden?

    „Mein ist die Rache!“

    Drei Tage später sind wir in Hinterkaifeck.
    Ein großes, schweigendes weißes Feld. Düstere fleckige Wolken schieben sich über den Wald, der dasteht wie einer, der reden will und doch zum Schweigen verdammt ist. Kein Weg führt durch den hohen Schnee. Tief sinken wir ein. Nicht einmal Spuren von Füchsen oder Hasen durchbrechen das weiße Tuch. Dann sind wir an dem Gedenkstein.
    Dieser Stein – das ist alles, was von dem Einödhof Hinterkaifeck übriggeblieben ist. Niemand hat dort mehr wohnen mögen. Ein Jahr nach der Tat hat man ihn abgerissen. Man versteht das, wenn man die Stelle sieht, und es beklemmt einem das Herz, wenn man nach der verwaschenen Inschrift sucht. „Gottloser Mörderhand fiel am 31. März 1922 die Familie Gabriel-Gruber von hier zum Opfer. Andreas Gruber, geb. 1858, Cäcilie Gruber, geb. 1849, Viktoria Gabriel, geb. Gruber, geb. 1887, deren Kinder Cäcilie, geb. 1915, Josef, geb. 1919; Dienstmagd Jungfrau Maria Baumgartner, geb. 1877. Der Herr gedenket als Bluträcher ihrer, vergißt nicht das Geschrei der Armen. Psalm 9, 13.“
    Über den Hügeln hinweg sieht man die Dächer des Ortes Gröbern, aber obwohl sie höchstens 300 Meter entfernt sind, herrscht hier eine unendliche Stille. Es fröstelt uns, und wir beginnen laut zu sprechen, um das Schweigen zu übertönen. Aber das Schweigen ist stärker, es umklammert uns und treibt uns hinweg. Kann sich ein Mensch an dieser Stelle des Schauders erwehren? Wir gehen. Erst langsam, dann immer schneller. Die Beine ziehen uns vorwärts. Nur fort. Wir achten nicht auf den tiefen Schnee.

    Das war doch kein Raubmord!

    Auf dem ersten Hof in Gröbern treffen wir den Ortsführer Hans Schlittenbauer, einen Mann von kleiner geduckter Statur mit rötlichen Haaren. Er werkelt gerad an einem Schuppen.
    „Von der Zeitung?“ lacht er und dreht ein großes Messer in seinen Händen. „Ihr gebt keine Ruhe mit Hinterkaifeck?“
    „Nein“, sagen wir. Nachher sitzen wir bei ihm in der Küche. Ein seltsamer Raum, kahl an den Wänden, aber alles steht voller Gerümpel. Ein Mädchen näht auf einer modernen Nähmaschine. Das ist alles, was darauf deutet, daß hier wohlhabende Bauern wohnen. Der Bauer ist da, seine Frau, das große Mädchen, dann die Kinder. Ein Junge liegt auf dem Sofa und stöhnt, er ist krank. Ein anderer Junge sitzt auf dem Herd. Zwei kleine Kinder stehen umher.
    „Wir glauben nicht, daß der Mord aus Rache geschah“, sagen wir, „es ist wohl sicher ein Raubmord gewesen.“
    „Raubmord?“ beginnt der Bauer zu lachen. Das Lachen hüpft richtig in seiner Kehle, und es springt von ihm auf die anderen über, selbst der Kranke lacht, dumpf und hohlbrüstig. Sie können sich gar nicht beruhigen. Gerade daß sie nicht an ihre Stirnen deuten und uns zu verstehen geben, für wie naiv sie uns halten.
    „Das war doch kein Raubmord. Das war Rache“, stößt die Frau endlich hervor. Sie sind direkt heiter geworden. Sie machen sich über uns lustig. Warum? Wir wissen es nicht.
    Nachher erzählt uns der Bauer, er sei damals dabei gewesen, als man die Toten fand.
    „Ich war damals sechszehn Jahre alt“, sagt er. „Am Dienstag kam der Postbote zu uns herauf und meinte: ‚In Hinterkaifeck, da stimmt was nicht. Die haben noch nicht mal die Zeitung vom Samstag aus dem Kasten genommen.‘ Mein Vater hat mich raufgeschickt auf den Hof. Ich solle mal durchs Fenster sehen. Das hab‘ ich getan, aber nichts sehen können. Und dann hat der Vater zwei Nachbarn geholt, den Jakob Siegl und den alten Pölt. Wir vier sind nach Hinterkaifeck gegangen. Oben hat der Siegl zu mir gesagt, ich solle lieber draußen bleiben. Man weiß nicht, was man drinnen findet. Und dann sind sie hineingegangen.
    Ein paar Stunden später sitzen wir dem Jakob Siegl gegenüber. Er ist als einziger von denen, die damals die Toten entdeckt haben, noch am Leben. Er ist fortgezogen von Gröbern. Aber was er damals in Hinterkaifeck sah, ist ihm so gegenwärtig wie vor dreißig Jahren. Erst wehrt er ab.
    „Was soll ich erzählen? Laßt mir mei Ruh!“ Man muß ihm die Worte einzeln entreißen, aber dann reißt es ihn selber fort. Er steht auf und geht hin und her. Er setzt sich aufs Sofa, dann auf die Bank, dann auf den Stuhl. Er ereifert sich. Seine Hände fahren durch die Luft. Sie deuten nach draußen.

    Die Sache mit dem Schlüssel

    „Die hat niemand anders erschlagen als du‘, hat der Pölt zum Schlittenbauer gesagt, und der hat ihn nicht angezeigt wegen Verleumdung. Bloß mich hat er angezeigt, weil ich das von dem Schlüssel gesagt habe…“
    „Was für einen Schlüssel?“
    „Am Freitag nachmittag“, sagt Siegl, „bin ich auf dem Feld beim alten Gruber von Hinterkaifeck vorbei, und wir haben geredet. Da erzählt mir der Gruber, daß er zwei Spuren im Schnee gesehen hat, die führten bis an seinen Hof, aber nicht wieder weg. Ob er denn was vermißt hab‘ ich gefragt. ‚Nichts‘, hat er gesagt, ‚bloß den Hausschlüssel, der ist verschwunden.‘ Ich hab‘ ihm helfen wollen , den Hof abzusuchen. Aber ‚Nein‘ hat er gesagt, ‚das mach ich schon selber, da brauche ich keinen‘. Ein Mordstrumm Mann ist er gewesen, der alte Gruber…“
    Das war am Freitag gewesen, und am Dienstag sind sie dann zusammen nach Hinterkaifeck hinaufgegangen, der Schlittenbauer, der Pölt und der Jakob Siegl.
    „Der Schlittenbauer ist gleich ‚rein in den Stall“, erzählt Siegl, „denn die Stalltür stand offen. und dann hat er uns von innen mit dem Hausschlüssel aufgeschlossen. ‚Lorenz‘, hab‘ ich zu ihm gesagt, ‚woher hast du den Schlüssel?‘ ‚Der hat an der Tür innen gehangen‘, hat er geantwortet. Und weil ich das mit dem verschwundenen Schlüssel dann erzählt hab‘, habe ich vom Gericht zwanzig Mark Strafe bekommen., wegen Verleumdung. Mich hat der Schlittenbauer angezeigt. Aber den Pölt nicht, vor dem hat er Angst gehabt…
    Wir sind dann durch das Haus gegangen. Da haben wir in der Dienstbotenkammer die neue Magd gefunden. Tot. Am Freitag haben sie noch bei uns vorbeigeschau. Eilig hat sie es gehabt, nach Hinterkaifeck zu kommen, gerade angefangen hat sie dort am selbigen Tag. Als ob sie es nicht erwarten könne, mit erschlagen zu

    Unterschriften unter den Abbildungen:

    Wer machte aus diesem Hof ein Totenhaus? Sechs Menschen lebten einst auf dem einsamen Gehöft Hinterkaifeck. Am 4. April 1922 fand man sie ermordet auf. Sie waren schon vier Tage tot. Weder die kleinen Kinder noch die Mag hatten die Mörder verschont. Im Stall brüllte das hungrige Vieh. Ein Raubmord? Ein Racheakt? Das blieb unbekannt – ebenso der Name des Mörders. Eine Augsburger Zeitung brachte damals die von uns hier gezeigte Darstellung.

    Er brachte den Stein wieder ins Rollen: Durch den Schriftsetzerlehrling Rudolf Storz aus München wurde WELTBILD darauf aufmerksam gemacht, daß der Kaplan A. die Namen der Mörder von Hinterkaifeck kennt.

    „Ich sah durch dieses Fenster…“ Sechzehn Jahre alt war Hans Schlittenbauer, als ihm sein Vater nach Hinterkaifeck schickte, um nachzusehen, was mit den Bewohnern des Hofes los sei. Er sah nichts, aber die Totenstille war ihm unheimlich.

    Ich weiß wer die Mörder sind ...
    Ich weiß wer die Mörder sind …

    werden, so schnell ist sie hingelaufen. Im Stall haben wir dann die anderen entdeckt. Der Fuß von der alten Gruberin hat aus dem Stroh ‚rausgeschaut, die haben wir zuerst gesehen. Nebeneinander haben sie gelegen, der alte Gruber, die Gruberin, die Tochter Viktoria und ihre kleine Cäcilie. Alle hatten sie schwere Wunden am Kinn und am Schädel. Im Schlafzimmer von den Alten hat es am Schlimmsten ausgesehen. Da hatten sie mit der Hacke durchs Verdeck vom Kinderwagen geschlagen. Da lag der kleine Josef von der Viktoria drin und war tot. Der hat ausgesehen!“
    Die Erinnerung schüttelt den alten Mann schwer.
    „Weil der kleine Josef auch tot war, hat der Staatsanwalt damals gesagt: Der Schlittenbauer, der war’s nicht. Er wird doch sein eigenes Kind nicht so schrecklich erschlagen haben!“
    „Sein Kind?“ fragen wir erstaunt.
    „Ja, der Josef. Der Karl Gabriel, was der Mann von der Viktoria war, ist doch schon 1914 gefallen in Frankreich. Und der Lorenz Schlittenbauer hat die Viktoria Gabriel heiraten wollen. Aber in Wirklichkeit ist auch der nicht der Vater vom kleinen Josef gewesen. Ja, da staunen sie, was? Der hatte bloß die Vaterschaft anerkannt, weil ihm die Gruberischen tausend Mark gezahlt haben… Der alte Gruber hat es nämlich mit seiner eigenen Tochter gehabt. Sein Kind ist der Josef gewesen…
    Jakob Siegl schweigt. Auch wir sind still. Und plötzlich klingt uns das Lachen in der Schlittenbauerschen Küche in den Ohren. Wie hatte der Sohn des alten Schlittenbauer gesagt? „Das war doch kein Raubmord, das war Rache…“
    „Hat sich der Schlittenbauer wegen des Kindes gerächt?“ fragen wir.
    „Was weiß ich!“ meint Jakob Siegl. „Jetzt ist er tot, der Lorenz, ‚rausgedrängt hat er mich aus dem Dorf. Seit dem Mord hat es bloß Zank und Streit zwischen mir und dem Schlittenbauer gegeben. Warum denn? Als er damals an dem Dienstag zu mir gekommen ist, hat er gesagt: ‚Wir müssen mal nachsehen. Da droben rührt sich nix. Entweder haben die sich aufgehängt oder einander erschlagen.‘ Und oben in Hinterkaifeck ist er dann gleich in den Stall. Ausgekennt hat der sich droben im Hof wie zu Hause…“
    Siegl fährt fort: „Wir haben alle gewusst, was für einen Haß er gehabt hat auf den Gruber. Als die Geschichte war mit dem Buben – die Viktoria hat’s ihm selber gesteckt gehabt -, da ist er zum Pölt gekommen und hat gesagt: ‚Jetzt zeig‘ ich den Alten an. Jetzt kommt er mir dran wegen Blutschand, ins Gefängnis muß er. Dem brock‘ ich’s ein, daß er gleich drin bleibt.‘ Und was ist mit dem Lorenz gewesen in den ganzen vier Tagen, wo die droben schon tot lagen, und es hat noch kein Mensch was gewusst? Wenn man zum Schlittenbauer hineinkam, dann hat es geheißen: ‚Der Vater ist auf’m Heuboden droben. Da passt er auf Diebe.‘ Aber wo ist er wirklich gewesen?
    Uns dreht sich’s im Kopf. Könnte es am Ende der alte Schlittenbauer gewesen sein? aber der Kaplan A. hat doch gesagt, es seien zwei Mörder, und keiner von ihnen sei verhaftet gewesen?
    „Nein“, ruft Siegl, „den Lorenz haben sie niemals verhaftet!“
    Zwei Tage später erzählen wir dieses Gespräch in Augsburg dem Staatsanwalt Dr. Popp, der in der Sache Hinterkaifeck die Ermittlungen führt.
    „das kenne ich alles“, lächelt der Staatsanwalt. „Aber Lorenz Schlittenbauer ist verhaftet gewesen,“

    Wer stirbt, lügt nicht

    „Lorenz Schlittenbauer ist nicht der Mörder gewesen“, sagt Bumiller Johann, der ihm die letzte Beichte abgenommen hat. „Auf dem Totenbett hätte er sicher geredet. Über alles andere hat er gesprochen. Über die tausend Mark, über die falsche Vaterschaft. Wer im Sterben liegt, lügt nicht mehr“. Ist das wahr? Will sich jeder von der Lüge seines Lebens befreien? Aber dann hat auch die Frau, die dem Geistlichen von ihren Brüdern erzählt hat, die Wahrheit gesagt. Führt von dem, was wir über Hinterkaifeck erfuhren, vielleicht doch eine Spur zu der Aussage dieser Frau? Gibt es nicht doch ein Mittel, das Geheimnis zu lüften – werden die verstaubten Akten über die Tragödie von Hinterkaifeck noch einmal geöffnet?

    Der Fall Hinterkaifeck ist durch unsere Untersuchungen in ein neues Stadium getreten. WELTBILD wird zu gegebener Zeit darüber berichten.

    Unterschriften unter den Abbildungen:

    Heute – nur noch ein Gedenkstein… Das ist alles, was von Hinterkaifeck blieb. Kein Laut durchbrach die lähmende Stille, als unsere Reporter während ihrer Nachforschungen diese Aufnahme machten. So wie auf diesem Bild war es auch vor dreißig Jahren: Ein düsterer Himmel, Schnee und der dunkle, schweigende Wald. Aber statt des Gedenksteins stand hier ein Bauernhof und darin… Ein Jahr nach dem Mord wurden die Gebäude abgerissen. Niemand wollte das Haus des Unheils bewohnen. „Der Herr gedenket als Bluträcherer ihrer, vergißt nicht das Geschrei der Armen“, dieser Psalmspruch steht auf dem Stein.

    Auf demselben Friechof, auf dem die Ermordeten liegen, steht der Gedenkstein für Karl Gabriel, den Mann der ermordten Hoftochter von Hinterkaifeck. Er war 1914 in Frankreich gefallen. Der Volksmund will wissen, er sei gar nicht tot, er lebe und habe selber den schrecklichen Mord verübt. Im Herbst 1951 behauptete ein Heimkehrer, er habe in sowjetischer Gefangenschaft einen Kommissar getroffen, der bayerisch gesprochen und sich als der Mörder von Hinterkaifeck bekannt habe – es sei Karl Gabriel gewesen. Das Gericht nahme die Untersuchung wieder auf, aber die Spur erwies sich als falsch.

    „Ich war dabei, als man die Toten fand…“ Noch heute spricht aus den Augen Jakob Siegls der Schrecken jener Stunden vor dreißig Jahren. Er weiß viel über die hintergründigen Dinge zu erzählen, die sich vor dem Mord auf Hinterkaifeck zugetragen haben. Aber wer der Mörder ist, weiß er nicht. Wird er es noch erfahren?

  • Aus der Sonderausstellung „Mythos Hinterkaifeck“

    Die Kriegertafel auf dem Dachboden

    In der Sonderausstellung „Mythos Hinterkaifeck“ war unter anderem auch die Tafel der gefallenen und vermissten Soldaten aus dem ersten und zweiten Weltkrieg des Krieger- und Soldatenvereins Waidhofen ausgestellt.

    Bereits am 5. Dezember 2012 war ich mit dem damaligen Vorsitzenden des Krieger- und Soldatenvereins in Waidhofen verabredet und habe die Kriegertafel, die im Dachboden der neugebauten Schulgebäudes (bin mir nicht mehr sicher, ob es wirklich eine Schule war) gelagert war, abgelichtet.

    So stand sie damals in dem Dachboden:

    Tafel Krieger- und Soldatenverein Waidhofen
    Tafel Krieger- und Soldatenverein Waidhofen
  • Johann Berchtold

    Münchens schlimmster Frauenmörder um die Jahrhundertwende

    Am 15. Februar 1896 fand Georg Fürst, Stationskommandant der 6. Münchner Gendarmerie Brigade, auf Anzeige der Köchin Pauline Pfefferl in der Karlstraße Nr. 33 die Leichen von Julie und Caroline von Roos sowie von deren Köchin Maria Gradl. Die Öffentlichkeit spekulierte in verschiedene Richtungen: Zum einen vermutete man einen dreifachen Selbstmord, zum anderen dachte man an einen Unglücksfall, denn auf dem Küchentisch war ein Fläschchen mit der Aufschrift „Arsenik“ gefunden worden. Die Obduktion ergab jedoch eindeutig, dass die drei Frauen erdrosselt worden waren. Demnach muss die Köchin Maria Gradl den Mörder, den sie offensichtlich kannte, ahnungslos in die Wohnung eingelassen haben. Als sie ihn gerade ihrer Herrin melden wollte, erwürgte er sie von hinten auf dem Korridor. Durch das Geräusch aufmerksam gemacht, ging Caroline von Roos aus dem Wohnzimmer in den Korridor, erhielt dort einen Schlag auf die Stirn und wurde anschließend mit einem Tuch oder der bloßen Hand erstickt. Anschließend stieß der Täter im Schlafzimmer auf Julie von Roos, die er ebenfalls erwürgte. Bei der polizeilichen Durchsuchung des Tatortes wurde festgestellt, dass neben 800 Mark in bar auch zahlreiche Pfandbriefe der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank fehlten. Somit wurde als Motiv Raubmord festgestellt. Da die Roos ein sehr zurückgezogenes Leben geführt, das Haus nur selten verlassen hatten und auch unbekannten Personen niemals geöffnet wurde, konzentrierten sich die Ermittlungen zunächst auf die näheren Verwandten, da der Täter ohne Gewaltanwendung hatte eindringen können. Allerdings mussten alle infrage kommenden Personen als Täter ausgeschlossen werden. Einigermaßen ratlos, gaben Hinweise seitens der Bevölkerung den festgefahrenen Ermittlungen der Gendarmerie einen neuen Impuls. Der Tischler Erasmus Ringler machte auf der Station der Brigade des 17. Bezirks die Aussage, dass er den Maurer Johann Berchtold aus Schwabing verdächtige. Gerüchten zufolge habe er seine Hand bereits bei der Ermordung der Frau Emetskofer in der Quellenstraße und des Johann Schneider am Paulaner Platz im Spiel gehabt. Ein Nachweis war indes bislang nicht gelungen. Den Verdacht glaubte er deshalb haben zu dürfen, da Berchtold für die Installationsfirma Holzmann & Co. im vergangenen August im besagten Haus Karlstraße Nr. 33 die Maurerarbeiten in dem Klosett besorgt hatte und deshalb über genaue Ortskenntnisse verfügte. Ein am selben Tag eingegangener anonymer Brief bei der Polizeidirektion äußerte dieselben Verdachtsmomente. So wurde am 21. Februar 1896 Johann Berchtold festgenommen. Allerdings fehlte der eindeutige Nachweis der Täterschaft, denn mehr als Indizien konnten nicht beigebracht werden und Berchtold war nicht zu einem Geständnis zu bewegen. Ab 1. Oktober 1896 fand vor dem Schwurgericht beim Landgericht München I, der Prozess gegen Berchtold statt. Als Indizienbeweise gegen ihn wurden verschiedene Umstände angeführt, vor allem, dass seine Familie, die bis zum Zeitpunkt des Mordes in dürftigen Verhältnissen gelebt hatte, plötzlich über ansehnliche Mittel verfügte. Ferner spielten die Aussagen der Zeugen, die Berchtold im und vor dem Haus gesehen haben wollten, eine erhebliche Rolle. Das Resultat der 14-tägigen Verhandlungen war, dass Berchtold am 14. Oktober 1896 zum Tode verurteilt, am 28. März 1897 aber zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt wurde. Berchtold beteuerte immer wieder seine Unschuld, auch nach seiner Verurteilung. Sein Rechtsanwalt Dr. von Pannwitz versuchte, die Wiederaufnahme des Verfahrens zu erreichen, da er eine neue Zeugin benennen konnte, die Berchtold zur Tatzeit in Schwabing gesehen haben wollte. Der Antrag fand jedoch keine Zustimmung, und obwohl es immer wieder zu Zweifeln an der Glaubwürdigkeit einiger Zeugen kam, wurde das Verfahren niemals neu aufgerollt. So verbüßte Berchtold seine Strafe zuerst im Gefängnis am Anger und ab 1. April 1897 im Zuchthaus in Kaisheim, wo er am 18. August 1925 verstarb.

    Johann Berchtold

    Quelle: Kriminalfälle (19./20. Jahrhundert) | bavarikon

    München, 1. Oktober. Der dreifache Raubmord in der Karlstraße zu München, jene grausige Tat vom 14. Februar dieses Jahres, welche nicht nur durch die Zahl ihrer Opfer, sondern auch durch ihre geheimnisvolle Ausführung weit über München hinaus das größte Aufsehen erregt hatte, versetzt durch die Schwur-gerichtliche Verhandlung die Gemüter in neue Aufregung und wohl selten ist ein ähnlich gelagerter Fall in den Annalen der Kriminaljustiz zu verzeichnen. Der Tatverdächtige Maurer Johann Berchtold wurde endlich nach langer Untersuchung vor die Geschworenen verwiesen, welchen die schwere Aufgabe zugefallen ist, darüber zu entscheiden, ob die seitens der Anklagebehörde mit großer Umsicht und großem Fleiß zusammengetragenen Verdachtsmomente ausreichend sind, um ein Schuldig über den Angeklagten auszusprechen. 210 Zeugen sind vorgeladen. Der Prozess nahm heute seinen Anfang. Als der Präsident die Hauptfrage an Berchtold richtete, ob er sich der ihm zur Last fallenden Verbrechen schuldig bekenne, antwortete er mit kräftiger Stimme: „Ich bekenne mich nicht schuldig!“ Unter den zu dem Sensationsprozesse ausgelosten Geschworenen befindet sich auch der Herr Gastwirt Dantl von Wasserburg.
    03.10.1896

    München. Der am Mittwochabend wegen des dreifachen Raubmordes an der Karlstraße und des Diebstahles an Emetskofer zum Tode und drei Jahren Gefängnis verurteilte Maurer Johann Berchtold hat in der Nacht zum letzten Samstag in seiner Zelle in der Angerfrohnfeste einen Ausbruch versucht. Berchtold hatte sich am Freitag unter dem Vorgeben, dass er durch die letzten 14-tägigen Strapazen gänzlich erschöpft sei und ärztliche Hilfe bedürfe, zum Arzt gemeldet. Wahrscheinlich wollte er hierdurch eine geringere Bewachung seiner Person erzielen. Nachts begann Berchtold nun nach der letzten Visitation mittels eines Stückes Holz, das er sich zu verschaffen gewusst hat, den steinernen Sockel des in seiner Zelle befindlichen Ofens zu bearbeiten, wobei ihm natürlich seine Kenntnisse als Maurer sehr zu statten kamen. Es gelang ihm indessen nur, den Verputz wegzureißen; sein ferneres Bemühen, den Ofen zu zertrümmern und als dann in den Kamin, durch denselben auf das Dach und von hier mittels des Blitzableiters auf den Boden zu gelangen, scheiterte an der dem Berchtold unbekannten Art der Einmauerung des Ofens. Am Samstag früh wurden die Spuren seiner nächtlichen Arbeit entdeckt. Über sein Beginnen vernommen, gab Berchtold an, die Verzweiflung über sein unverdientes Schicksal habe ihn zu diesem Schritte veranlasst. Er habe nur die Freiheit gewinnen wollen, um sich in der Isar zu ertränken.


    21.10.1896

  • Dreifacher Raubmord

    Der Raubmord von Wimm

    Im November 1918 ging es drunter und drüber, die Bevölkerung war kriegsmüde. In den Schützengräben hatten 200.000 bayerische Soldaten ihr Leben gelassen. Die Heim Kamen waren traumatisiert und einige starben in den Nachkriegsjahren noch an den zugezogenen Kriegsleiden. Das Bezirksamt München schreibt am 16.11.1918 an das SPD – geführte Innenministerium – nach einer Besprechung mit dem Polizeipräsidium sollen die Gendarmeriestationen durch Sicherheitssoldaten verstärkt werden. Die Gemeinden sollen Unterkunft und Verpflegung bezahlen. Wer soll aus leeren Gemeindekassen das bezahlen? Das Generalkommando schreibt an die Distriktverwaltungsbehörden: Hilfsgendarmen erhalten Löhnung, Beköstigungsgeld und eine Zulage von drei Mark am Tag. Unterhalt für Unteroffiziere, Mannschaften und Pferde müssen auf dem im Kriegsleistungsgesetz vorgeschriebenen Wege vergütet werden. Scheinbar klaffte eine Lücke zwischen Ist- und Sollzustand. In München fuhren Soldaten mit einem Auto in einem Kaffee in der Sonnenstraße vor und raubten mit vorgehaltener Pistole die Gäste aus. Vielleicht wurde einer der Soldaten erkannt, jedenfalls gaben sie ihre Beute wieder heraus und verschwanden. Am Freitag, dem 29.11.1918 berichteten die Zeitungen über einen Doppelmord im Mühlviertel, mir fiel der Bäcker Bärtl ein, obwohl er in der Zeit in einer Sanitätskompanie diente. Auf der bayerischen Seite in der Nähe von Simbach (Anm. es dürfte sich um Wimm bei Bad Birnbach handeln) ereignete sich ein dreifacher Raubmord. Der Landwirt Mühlberger, seine Schwester und sein Bruder, der noch flüchten wollte, wurden von zwei Tätern erschossen.