Eine belastente Eltern-Kind-Beziehung
Auf der Anklagebank saß ferner ein junger schmächtiger Bursche mit verschlagenem Gesichtsausdruck in der Person des 19-jährigen Tagelöhners Simon Brandmaier von Hof, Amtsgericht Haag, angeklagt des schwersten Verbrechens, welches das Gesetz kennt, nämlich des Raubmordes. Am Sonntag, 10. Januar, Nachmittags begab sich der Deimelbauer Johann Pfeilstetter von Berg nach Winden, A.G. Haag, um dort in dem seinen Schwiegereltern, den Gastwirtseheleuten Riedl gehörigen Hause Bier zu trinken. Er blieb bis gegen halb 6 Uhr, ließ bei Bezahlung seiner Zeche ein Zwanzigmarkstück wechseln, wobei er unter anderem ein silbernes Fünfmarkstück und einen österreichischen Thaler herausbekam. In seinem Besitz befand sich außerdem eine silberne Zylinderuhr mit silberner Kette, an welch letzterer ein Frauentaler hing, ferner ein schwarzes Lederportemonnaie.
Am gleichen Tische saß damals Simon Brandmaier. Derselbe war vorher im nahen Wald gewesen, um dort Brennholz zu hauen. Er hatte eine Holzhacke, sowie einen kleinen Hund bei sich, machte sich durch scheues Wesen bei allen Gästen auffällig und hörte, wie Pfeilstetter äußerte, dass er über Bachmehring den Heimweg antreten werde. Als sich Pfeilstetter entfernte, verließ auch Brandmaier das Gasthaus. Pfeilstetter kam nicht mehr nach Hause, weshalb seine Frau am anderen Morgen früh 7:00 Uhr ihren Dienstknecht Engelbert Larasser nach Winden schickte, um nach ihrem Manne zu fragen. Auf dem Weg dorthin fand Larasser im sogenannten Tiefgraben, einem von Eßlarn nach Eining führenden, von der Distriktstraße Dorfen Sankt Wolfgang-Haag abzweigenden öffentlichen Wege im Schnee die Leiche seines Dienstherrn, eines kräftigen vierunddreißig-jährigen Mannes.
Der Hinterkopf des Pfeilstetter war durch Hiebe mit einem stumpfen Instrumente, augenscheinlich einer Axt, vollständig zerschmettert, im Schnee zeigten sich auch die Spuren des Kampfes, ebenso die Spuren eines kleinen Hundes; Uhr, Kette und Geldbörse des Pfeilstetter fehlten. Der Verdacht, diese grausige Bluttat verübt zu haben, richtete sich sofort in der ganzen Gegend auf den als arbeitsscheu und lüderlich bekannten Simon Brandmaier, den Sohn des unter dem Namen „Raufsimmerl“ berüchtigten Tagelöhners Brandmaier von Berg. Brandmaier ist bereits wegen Diebstahls vorbestraft und hat schon einmal die Axt gegen seinen Vater erhoben.
Als seine Festnahme erfolgte, verlegte er sich auf das Leugnen, allein in seinem Besitz fand man das silberne Fünfmarkstück und den österreichischen Thaler, den Pfeilstetter in Winden beim Wechseln herausbekommen, im elterlichen Hause unter Brettern versteckt die Uhr und das Portemonnaie des Pfeilstetter; die Axt, welche Brandmaier am kritischen Tage bei sich trug, zeigte Blutspuren. Als deshalb Brandmaier einsah, dass ihm sein Leugnen nichts mehr helfen könne, gab er am 25. Februar zu, er sei am kritischen Abende in trunkenem Zustande auf dem Wege mit Pfeilstetter zusammengetroffen, dieser habe ihn an einer Planke gerempelt, weshalb sie in Streit geraten seien. Nun habe er in der Trunkenheit einmal mit der Axt nach ihm geschlagen. Als Pfeilstetter hierauf niedergefallen sei und sich nicht mehr rührte, habe er Uhr und Kette mit sich genommen. Zur Verhandlung, für welche zwei Tage angesetzt sind, sind 23 Zeugen geladen.
Am zweiten Tage der Verhandlung gegen Simon Brandmaier wegen Raubmordes begannen die Plädoyers, nachdem der Verteidiger Rechtsanwalt Angstwurm mehrere unter Fragen auf Totschlag und beziehungsweise Körperverletzung mit erfolgtem Tode zur Fragestellung eingebracht hatte. Staatsanwalt Schäfer begründete die Anklage unter einer beredten Schilderung der grausigen Tatumstände und hob insbesondere hervor, dass der Ermordete als ein ruhiger, friedliebender Mann allgemein beliebt war, dass derselbe am Tage seines gewaltsamen Todes nur zu dem Zwecke nach Winden kam, seine Schwiegereltern zu besuchen, und dass er seiner Frau, die ihrer Niederkunft entgegensah, sagte, er werde vor Einbruch der Nacht wieder zu Hause sein. Pfeilstetter war 7 Jahre verheiratet und hatte ein Kind. Derselbe verzehrte damals nur 50 Pfennige und war demgemäß vollständig nüchtern.
Der Herr Staatsanwalt plädierte in einstündiger Rede für schuldig im Sinne der Anklage. Rechtsanwalt Angstwurm entgegnete mit Beweisführung, dass die Tat keine vorsätzliche gewesen sei und dass insbesondere kein Raubmord vorliege, sondern nur Totschlag oder Körperverletzung mit erfolgtem Tode gegeben sei. In diesem Sinne beantragte er ein Schuldig, wie sich der Raub auch unter solchen Umständen nur als Diebstahl qualifizierte. Nach halbstündiger Beratung sprachen die Geschworenen ein Schuldig des vorsätzlichen Mordes und Raubes gegen Brandmaier aus. Derselbe wurde entsprechend den Anträgen des Staatsanwalts zum Tode verurteilt, bei lebenslänglichem Verluste der bürgerlichen Ehrenrechte. Der Verurteilte zeigte bei der Urteilspublikation dieselbe Gleichgültigkeit wie während der ganzen Verhandlung. Das Urteil machte keinerlei Eindruck auf den verkommenen Burschen.
Die Eltern des wegen Ermordung des Daimelbauern Pfeilstetter von Berg, A.G. Haag, zum Tode verurteilten 19-jährigen Tagelöhners Simon Brandmaier von Hof, A.G. Haag, fanden sich am Donnerstag in München ein, um beim Schwurgerichtspräsidium die Erlaubnis zu holen, ihren missratenen Sohn in der Angerfrohnfeste besuchen zu dürfen.
25.06.1892
Scheinbar wurde Brandmaier auf lebenslänglich begnadigt, denn es gab in München 1892 nur eine Hinrichtung an Johann Schindler.